Es ist 5:45 am Morgen, ein ganz normaler Arbeitstag. Der Tag beginnt mit Duschen, Frühstück und Brote für die Schule/den Kindergarten machen.
Dann die Kinder wecken, frühstücken, die Kinder anziehen, in den Betreuungsanstalten abliefern und arbeiten gehen.
So der tägliche Plan.
Es ist 5:58 Uhr, ich stehe tropfnass im Bad, als es ertönt: „MAAAMMAAA!!.“
Die erfahrene Mutter hört am Tonfall der Kinder, ob es ein „Ich bin wach“- Mamaaaa oder ein „Mir geht es schlecht“-Mamaaaa ist.
Es ist ein „Mir geht es schlecht“-Mamaaaa. Kein Rufen, das man getrost ignorieren und sich fertig machen kann, denn schließlich wird das Kind in den nächsten fünf Minuten nicht verhungern, verdursten, an Überhitzung zugrunde gehen oder vom Wolf angefallen werden.
Es ist ein Rufen, das Deine inneren Alarmglocken schlagen und Dich patschnass nur mit Handtuch bekleidet ins Kinderzimmer eilen lässt.
Um Dein Kind in einem See von Erbrochenen vorzufinden.
Oder glühend vom Fieber.
Oder sich krümmend vor Bauchschmerzen.
In Deinem Kopf überschlagen sich die Gedanken:
- Mist.
- Das arme Kind.
- Es geht doch keine Magen-Darm-Grippe um?
- Oder doch?
- Hab ich noch Fiebersaft?
- Welches Mistkind hat uns angesteckt?
- Was hab ich gestern abend gekocht?
- Jetzt muss ich das Bett abziehen.
- Und das Kind sauber machen.
- Und überhaupt… Was mache ich mit der Arbeit?
Tja, und da kommen wir auf den Punkt. Wohin mit dem kranken Kind?
Die Möglichkeiten
Wenn Kinder krank sind, fragt sich die arbeitende Mutter: "Wie schlimm ist mein Kind krank? Kann ich es zu jemandem in die Obhut geben? Schafft das jemand anderes? Kann ich im Job fehlen? Schon wieder?"
Kita
Ein absolutes No-Go ist es, sein krankes Kind in die Kita zu geben. Fieberzäpfchen rein und ab in die Menge. No way.
Das ist
- für das kranke Kind eine absolute Zumutung, denn wir Erwachsene würden uns fiebrig und krank auch nicht in ein Wirrwarr aus Menschen, Lautstärke, Stress und Unruhe begeben. Wir würden uns auf das Sofa legen und leiden.
- für die Kinder in der Kita eine Zumutung, denn die meisten Erkrankungen der Kinder sind klassische Kindergartenseuchen (Scharlach, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Magen-Darm-Grippe), deren Verbreitung man unterbinden muss.
- für das Personal eine Zumutung, denn kranke Kinder brauchen Zuwendung und Aufmerksamkeit, manchmal Medikamente und vor allem Ruhe. Das kann das beste Personal nicht leisten.
Nächste Möglichkeit: Der Papa
In der Realität ist es leider immer noch häufig der Fall, dass der Vater der Hauptverdiener ist und damit unumstößliche Argumente bereithält: "Wer bring denn das Geld nach Hause? Ich habe ein Meeting. Mein Terminkalender ist voll. Meine Beförderung steht an. Usw."
Natürlich kann man das nicht verallgemeinern und glücklicherweise nimmt der Anteil der „erziehenden Väter“ zu. Selbstverständlich ist es allerdings noch nicht und gerade bei den Vorgesetzten der Männer ungern gesehen. „Das Kind ist krank? Wieso bleibt die Mutter nicht zuhause?“
Also ab zur Oma
Wenn es eine Oma in der Nähe gibt. Oft ist das tatsächlich eine gute Alternative, denn die Großeltern sind oft bereits in Rente, haben also die zeitlichen Kapazitäten und Erfahrung. Je nachdem, wie wackelig sie aber schon sind, geht man mit einem unguten Gefühl zur Arbeit:
Wenn das Kind 40 Grad Fieber hat und von der Oma in Lammwolle-Decken gepackt wird, weil man das früher so gemacht hat. Wenn das Kind kotzt und der Opa sich vor Kotze ekelt.
Wenn die Großeltern keine Medikamente geben wollen, weil Medikamente ganz schrecklich schlimm, Antibiotika böse und Nasentropfen schädlich sind und das Kind deswegen keine Luft durch die Nase bekommt oder seine Antibiotika nicht fristgerecht einnimmt. Stattdessen gibt es homöopathische Komplexmittel und Tee mit Honig für den Säugling und die Mutter kriegt ob der Botulinum-Gefahr einen Herzinfarkt.
Weiter geht’s: Uroma
Uropa gibt’s nicht mehr, weil Frauen die Männer alle überleben. Uroma kann das Kind kaum halten und lässt es jeden Moment fallen. Also bittet man sie, sich einfach nur hinzusetzen und den Säugling auf den Schoß zu nehmen und sich bis zum Schichtende nicht zu bewegen. Bei größeren Kindern legt man dieses auf das Sofa und die Uroma auf den sich daneben befindlichen Schaukelstuhl, stellt Essen und Getränke bereit und macht sein Handy ganz laut, damit Uroma anrufen kann. Falls sie ein Handy bedienen kann. Falls sie ein Handy besitzt. Ein Handy, das sie nicht mit dem Hausnotruf verwechselt.
Was gibt es noch für Möglichkeiten?
Notmütter
In vielen größeren Städten kann man für den Notfall eine „Notmutter“ für viel Geld buchen. Diese Damen sind tatsächlich meist sehr versiert im Umgang mit Kindern, machen sie diese Arbeit schließlich täglich. Ob es für das Kind so toll ist, im kranken Zustand in gänzlich fremde Hände gegeben zu werden, ist fraglich. Aber immerhin ist das Kind in seinem gewohnten Heim und kann sich dort erholen. Die Dame gibt wie ausgemacht die Medikamente und macht ihren Job so, wie die Eltern sich das sich wünschen. Wenn man es sich leisten kann.
Zu guter Letzt: Das Kind zur Arbeit mitnehmen
Muahahaha. Was haben wir gelacht. Wie oft habe ich schon gehört, dass ich unbedingt Allgemeinmedizin in einer Praxis machen soll. Denn in einer Praxis sei ja alles so familienfreundlich. Man könne priiiima in Teilzeit arbeiten, mittags fein das Essen für die Lieben kochen, nachmittags nochmal zwei bis drei Stündchen arbeiten, wenn die Kinder bei Freunden oder im Sport sind. Man könne sogar die Kinder mitnehmen, wenn sie krank sind, da man ja sooo flexibel bei der Arbeit sei.
Ich räuspere mich mal.
- Quatsch mit Soße.
- Seitdem ich in einer Praxis arbeite, ist es schwieriger geworden, zuhause zu bleiben. Termine müssten im Krankheitsfall abgesagt, auf die Kollegen umgewälzt und Patienten unzufrieden gemacht werden.
- Wer sagt eigentlich, dass ein höchstes Glück es ist, mittags der Familie ein warmes Essen zu präsentieren?
- Nachmittags zu arbeiten, wenn die Kinder größer sind, mag gut möglich sein. Dafür bräuchte man einen flexiblen beruflichen Terminkalender, denn nicht jede Woche trifft das Kind sich mit seinen Freunden. Der Sportunterricht geht auch maximal zwei Stunden lang. Ggf. kann eine Freundin die Kinder vom Sport holen, aber da die meisten Praxen bis 18:00 Uhr Sprechstunden anbieten, wäre ich nicht vor 18:30 Uhr zuhause. Da hilft mir auch die zweistündige MIttagspause nicht. Einfacher ist da tatsächlich ein Job von 8:00-16:00 Uhr, denn die meisten Kitas bieten Betreuung bis 16:30 Uhr an.
- Das kranke Kind kann man NICHT mit in die Praxis nehmen. Wo soll ich es hinlegen? Auf die Untersuchungsliege? „Lassen Sie sich von meinem brechenden Kind nicht stören.“ „Moment, ich möchte Sie untersuchen. Muss nur erst das Kind aufwecken.“ Oder das Kind vier Stunden bis zur Mittagspause in den Personalraum setzen? Wo es ausreichend genesen kann? Oder den MFA’s die Betreuung auftragen, obwohl sie selbst alle Hände voll zu tun haben?
Am Ende muss man auf einen verständnisvollen Arbeitgeber hoffen. Schließlich stehen den Eltern mehrere „Kind krank“-Tage zu und wenn diese verbraucht sind, kann man sich auf unbezahlten Urlaub oder Überstundenabbau einigen.
Vielleicht kann man auch nur das Nötigste erledigen, wichtige Termine wahrnehmen oder Homeoffice machen, was allerdings im Arztberuf kaum möglich ist.
Ich persönlich habe zu meinen Klinik-Zeiten keine guten Erfahrungen damit gemacht, sich kurz im Krankenhaus blicken zu lassen, um die Patientenübergabe oder „mal eben schnell die Visite“ zu machen. Du bist vor Ort, also arbeitest Du auch. Hier noch schnell eine Aufklärung zur Magenspiegelung, da mal eben Blut abnehmen und „Ach, Frau Doktor, der Patient in Zimmer 3 klagt über Brustschmerz“. Und am Ende sagt der Oberarzt: „Also, Sie können jetzt nicht gehen. Hier sind 20 Patienten, die alle kränker sind als ihr Kind. Sie bleiben.“ (So geschehen!)
Es ist und bleibt eine Zerreißprobe, zu der ich keinen guten Rat geben kann. Irgendwann sind die Kinder größer, weniger krank und die "Kind krank"-Herausforderung wird durch andere Probleme abgelöst. Wenn das mal nicht ein Lichtblick am Ende des Tunnels ist.
Bild: Schwesterfraudoktor