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Der Tod kommt immer anders

 

 

Es sandte mir das Schicksal tiefen Schlaf.
Ich bin nicht tot,
ich tauschte nur die Räume.
Ich leb in euch,
ich geh`in eure Träume,
da uns, die wir vereint,
Verwandlung traf.
Ihr glaubt mich tot,
doch dass die Welt ich tröste,
leb ich mit tausend Seelen dort,
an diesem wunderbaren Ort,
im Herzen der Lieben.
Nein, ich ging nicht fort,
Unsterblichkeit
vom Tode mich erlöste.

 

(Michelangelo)

 

 

Mal kommt er leise, ganz leise. Schleicht sich auf leisen Sohlen in das Zimmer und nimmt Dir Deine Lieben. Oder nimmt einem Leidenden sein Leid.

Dann wieder kommt er mit Geschrei. Manchmal ist er schnell, manchmal lässt er sich quälend viel Zeit. 

Wir wissen nur eines sicher: Dass wir nicht wissen, wann und wie und wo er uns trifft. 

 

Was kommt nach dem Tod? 

 

Der Tod als ewiges Thema beschäftigt die Menschheit, seitdem sie denken kann. Dass wir als Menschen ein Bewusstsein haben, führt zwangsläufig dazu, dass wir denken. In den meisten Fällen jedenfalls.

Und dass wir uns Fragen stellen, was nach unserem Tod kommt. Ich bringe mal auf den Punkt, was ich glaube: nichts. Nichts kommt dann. Meine Meinung. 

 

Ich persönlich glaube, dass wir ein Produkt der Evolution sind, rein zufällig entstanden und wenn unser kurzes Leben vorbei ist, ist es eben vorbei. Unser Körper als Zerfallsprodukt. Für unsere Natur und unsere Erde wäre es nicht schlimm, wenn wir als selbsternannte "Krone der Schöpfung“ nicht mehr auf dieser Welt wanderten. Es gibt so viele wunderschöne Geschöpfe auf dieser Welt und der Mensch könnte dazu gehören, zerstörte er nicht immer alles. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Ich bewundere die Menschen, die den Glauben an ein Leben nach dem Tod haben. Und wie man am rezitierten Gedicht sehen kann, bin ich ebenfalls im Zwiespalt. 

 

Heute vor neun Jahren starb meine Mutter an Krebs und ganz ehrlich: Krebs ist ein Arschloch. Er hat mir meine Mutter genommen, sie langsam zerfressen und leiden lassen. Als sie starb, wollte sie nicht gehen und betete die ganze Nacht. Aber sie hatte verloren. Nach ihrem letzten Atemzug, den man als Tochter nicht begreifen kann, öffnete eine ganz liebe Krankenschwester das Fenster und an dem damals so tristen und grauen und regnerischen Tag schien ein einziger Lichtstrahl durch das Fenster ins das Zimmer. 

Ich weiß nicht, wo ihre Seele hin ging. Ich hoffe, in den Himmel, denn sie glaubte daran. Bewegend war dieser für mich zufällige Sonneneinstrahl allemal. 

 

Tod und Sterben 

 

Ich habe in meinem bisherigen Leben viel Tod gesehen.

 

Was mich nicht belastet hat, waren die Leichen in der Pathologie. Alleine in der Leichenhalle zu werkeln störte mich nicht. Ich habe den Sterbevorgang nicht beobachtet und vor mir lag lediglich eine gelb-graue Hülle. Sobald die Seele des Menschen aus dem Körper gewichen ist, ist in diesen Menschen nichts Menschliches mehr. Wohin die Seele entschwindet, kann ich wie gesagt nicht sagen. Man sieht einfach, dass sie nicht mehr da ist. Ich denke, die Energie, die rein physikalisch nicht verloren gehen kann, bleibt noch eine Weile bei uns. 

 

Hingegen dem Sterben zuzusehen ist grausam.

 

Abgesehen von dem Tod meiner Mutter sind mir zwei Patienten besonders im Gedächtnis geblieben: 

 

Ein alter Mann, etwa 90 Jahre alt, wurde mit einer ausgeprägten Harnwegsinfektion ins Krankenhaus eingeliefert, die auch mit Reserve-Antibiotika nicht in Griff zu kriegen war, da sich, wie sich später herausstellte, um einen resistenten Keim handelte. Die Nieren versagten. Er wurde Tag für Tag benommender, der Urin kam nur noch braunrot aus dem Katheter.  Er war nicht mehr unter den Lebenden, er war aber auch nicht tot. Zusammen mit den Angehörigen besprachen wir, die lebensverlängernden Maßnahmen einzustellen. Der Tod kam quälend langsam, man konnte ihm bei seinem grausamen Werk zuschauen. Jeden Tag dachten wir, es sei sein letzter Tag und jeden Tag schlug sein Herz weiter. Nach einer schier endlosen Zeit hatte er den Weg hinüber geschafft. 

 

Der zweite "Fall" war eine bis dato quietschelebendige und fitte Dame von etwa 75 Jahren, die mit unstillbarem Erbrechen in die Notaufnahme kam. Sprich: Das Erbrechen konnte einfach nicht gestoppt werden. 

Ihre Laborwerte zeigten massiv erhöhte Leberwerte, also holte ich das Ultraschallgerät und wollte der Sache auf den Grund gehen. Bereits der erste Blick offenbarte die Tragödie: Die Leber war gigantisch groß, reichte bis in den Unterbauch und war von unzähligen Metastasen durchsetzt. 

Die Dame schaute auf den Bildschirm und sagte gefasst: "Jetzt sterbe ich also. Meine Mutter starb mit 75 Jahren an Krebs."

Eine Woche später war sie verstorben.

 

Was aus uns wird

 

Jedes Jahr an diesem Todestag meiner Mutter frage ich mich, ob ihre physikalische Energie, die ein Mensch im Moment seines Todes abgibt, noch in der Nähe ist. Ob es doch eine Seele gibt und wenn ja, wo sie ist.

 

Manche Menschen wollen zu Asche werden, andere ihre letzte Ruhestätte in der Erde finden. Manche möchten auf das Meer und andere in die Luft gestreut werden. 

 

Die Idee, dass man aus seiner Asche einen Baum wachsen lässt, finde ich schön. Aber bevor aus uns Bäume werden, sollten wir unser Leben mit Leben, mit Lachen und Lieben, mit gutem Essen und seinen Kindern, Freunden, seiner Familie und mit einem Sinn füllen. Damit wir Fußstapfen hinterlassen, neben denen ein Baum wachsen kann.