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Alles eine Frage der Perspektive

Beflügelt durch eine länger dauernde Unterhaltung auf Twitter (@SchwesterFD) schrieb ich gestern meine Gedanken nieder.

 

Es ging in dem Gespräch um die eigene Risikobereitschaft, beziehungsweise die Bereitschaft, die eigenen Kinder einem gewissen (sportlichen) Risiko auszusetzen. Ich werde nämlich meinen Kindern zu Weihnachten Skateboards schenken. Natürlich mit kompletter Schutzausrüstung. Wir werden im Frühjahr langsam starten und ich freue mich wie irre, auch mal auf den Teil zu stehen.

 

Die Perspektive der Knochenbrecher

 

Im Verlauf der Unterhaltung meldeten sich die Unfallchirurg*innen zu Wort und rieten mir davon ab. Verständlich, wenn man bedenkt, was sie tagtäglich zu Gesicht bekommen und wieder zusammenflicken müssen: 

 

Kinder vom Board gestürzt, beim Fußball das Knie verdreht, mit dem Bike überschlagen. Bein kaputt, Blut, ausgeschlagene Zähne, zersplitterte Knochen. 

Unfallchirurg*innen sehen das, was ich zu verdrängen versuche. 

 

„Das passiert uns doch nicht!“ (Das nennt man übrigens Selbstwirksamkeitserwartung.)

„Wir passen ja auf.“

„Ich bin doch sportlich. Kein Ding.“

„Es gibt viel schlimmere Sportarten.“

 

Ja und Ja und Ja und Ja.

 

Das ist alles korrekt. Und dann reicht ein dummer Zufall. Ein Stein, der falsch liegt. Eine falsche Bewegung. Ein Moment der Unachtsamkeit. 

Das ist mir alles bewusst.

 

Und lässt mich demütig vorsichtiger werden.

 

 

Meine Perspektive als Hausärztin

 

Als Hausärztin sehe ich mangelnde Beweglichkeit bei immer mehr Kindern, Übergewicht, Faulheit und Antriebslosigkeit. Es scheint zuzunehmen, dass Kinder nicht mehr raus in die Natur gehen und sich nicht mehr ausprobieren können. Die Freizeitbeschäftigungen unseres Nachwuchses haben sich in das Wohnungsinnere verlagert. 

 

Dabei haben Kinder einen natürlichen Bewegungsdrang und dieser wird nicht durch gelegentliche Spaziergänge und Konsolengolf befriedigt. 

 

Bewegung muss Spaß bringen und spielerisch sein. Bei Jungs eher wilder und kompetitiver, bei Mädchen eher ruhiger und harmonischer. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel und solange Kinder Sport machen, gilt es, dies zu unterstützen, denn die Grundlagen für ein gesundes und aktives Leben werden im Kindesalter gelegt. 

 

Wenn Kinder sich nicht bewegen, fehlt der muskuläre Stützapparat, Fehlhaltungen entwickeln sich, Schmerzen sind die Folge. Und konsekutiv noch weniger Sport.

 

Ferner habe ich festgestellt, dass bei Bewegungsmuffeln die Psyche oft mehr leidet als bei Menschen (Kind und Erwachsene), die sich ausreichend sportlich betätigen. Bewegung ist Therapie. 

 

 

Meine Perspektive als Mutter 

 

Klar habe ich Schiss. Meine Kinder sind das Größte für mich und ich möchte sie gerne heil durch den Alltag bringen. 

 

Als Mutter und selbst begeisterte Freizeitsportlerin will ich meinen Kindern aber auch den Spaß an der Bewegung vermitteln. Dieses geile Gefühl der Erschöpfung. Das Gefühl des Erfolges nach hartem Training. Den Rausch, wenn die Endorphine ausgeschüttet werden. 

 

ich möchte, dass sie gesund und fit sind und vor allem sollen sie Spaß haben. Sie sitzen in der Schule genug herum.

 

Wenn sie auf ein Klettergerüst klettern, dann gucke ich genauso ängstlich hin, wie andere besorgte Muttis.

 

Aber wie sollen sie lernen, sich körperlich einzuschätzen, wenn ich sie nicht ihre Grenzen austesten lasse? Wenn sie nicht mal auf einen Baum kraxeln und stolz darauf sind. Wenn sie nicht mal das Klettergerüst erklimmen und stolz runter winken, während mir der Arsch auf Grundeis geht. Wenn sie sich nicht mal das Knie aufschlagen und merken, dass sie ihre Grenze erreicht haben. Grenzen austesten in kleinen Portionen.

 

Ich lasse sie klettern und Skateboard fahren. Und wenn sie BMXler werden wollen, werde ich eine Unfallversicherung abschließen, als peinlich stolze Mutter am Rand stehen, sie anfeuern und bei Bedarf Pflaster kleben. 

 

Und natürlich zwinge ich sie vorher in ihre Schutzausrüstung.