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Wir wollen das Twankenhaus!

Ich bin bei Twitter. Das kann schrecklich sein, weil man sich manchmal viel zu lange einfach durch die sinnlose Timeline klickt und Zeit für andere Sachen verliert - Schreiben zum Beispiel. Oder lernen. Aber manchmal entstehen daraus auch sehr interessante und spannende Projekte. Wie zum Beispiel das „Twankenhaus“. 

 

 

Was ist das Twankenhaus?

 

Es begann mit einem lustigen Hashtag, der wohl schon vorher mal irgendwo im Twitterversum existierte: #Twankenhaus. 

 

Mehrere Ärzt*innen verwendeten diesen, um lustige Tweets rund um das perfekte Krankenhaus zu schreiben. Das Krankenhaus, in dem wir Ärzte alle gerne arbeiten würden, die Patienten abseits von Budget und Umsatz optimal versorgt wären und die interdisziplinäre Zusammenarbeit optimale Medizin hervorbringen würde. Zusätzlich gäbe es Lehre für den medizinischen Nachwuchs, weil schließlich Zeit dafür wäre. Und eine an das "Twankenhaus" angegliederte Kindertagesstätte betreut unsere lieben Kleinen, damit wir unbesorgt arbeiten können. 

 

Das "Twankenhaus" ist also der optimale Ort, an dem wir alle gerne arbeiten und der Beruf, für den wir alle eigentlich brennen, wieder Freude macht. 

 

 

Warum das Twankenhaus?

 

Die Antwort ist so einfach wie simpel: Weil das Arbeiten in unserem aktuellen System keinen Spaß mehr macht. Und Menschenleben gefährdet. 

 

Oder wie soll man es nennen, wenn ein junger Assistenzarzt zwei Wochen nach Eintritt in das Arbeitsleben alleine 40 Patienten betreuen soll? 

 

Oder wenn die Nachtdienste in der Notaufnahme durch die unerfahrensten Kollegen besetzt werden? Die vor Angst tausend Tode sterben, sobald der Dienst naht.

 

Oder wenn ein solcher Pflegenotstand herrscht, dass eine examinierte Krankenschwester mit einer Schüler*in alleine 30 Patienten pflegerisch versorgen soll? 

 

Oder wenn man als Stationsarzt nach einer langen Nacht noch vier bis sechs Stunden Arbeitszeit dranhängt, um wenigstens die Visite zu machen, weil sonst kein Kollege vor Ort ist? 

 

Oder wenn die Pflegekraft auf Station nur eine Aushilfe ist und nicht weiß, wo sich der Notfallwagen befindet? Welcher nicht aufgefüllt ist, weil kein Personal vorhanden war oder vorhandenes Personal keine Zeit hatte?

 

Oder wenn man als Arzt in der  Notaufnahme verzweifelt ein Bett für seine Patienten sucht, damit dieser nicht im Flur auf einer Pritsche liegen muss. 

 

Es gibt Hunderte Beispiele und wir vom „Twankenhaus“ unterhalten uns oft im digitalen Hinterzimmer über die Zustände. 

 

Es macht auch nicht Halt vor den Arztpraxen. Auch dort, wo das Arztleben noch leichter sein sollte, da es keine Nacht- und Wochenenddienste gibt und man als niedergelassener Kollege immerhin Berufserfahrung vorweisen kann - auch dort gibt es massenhaft Probleme. 

 

Genau: Massenhaft. Massenhaft Patienten, die am Morgen schon in langen Schlangen vor den Türen stehen und um Einlass begehren. 

Massenhaft neue Regelungen, die sich Berufspolitikmediziner aus dem Ärmel schütteln, um den Niedergelassenen das Leben zu erschweren.

 

Es reicht einfach. Und deswegen träumen wir vom „Twankenhaus“. 

 

 

Wie soll es sein, das Twankenhaus?

 

  1. Im Twankenhaus gibt es ausreichend Personal, um Urlaubs- und Krankheitszeiten auszugleichen. Sowohl auf ärztlicher als auch auf pflegerischer Seite. 
  1. Junge Kollegen werden optimal ausgebildet. Fortbildungen werden bezahlt. Es gibt eine Einarbeitungszeit, die den Kollegen erlaubt, sich in ihrem ärztlichen Handeln sicher zu fühlen. 
  1. Operations- und Liegezeiten werden nicht durch eine reine Diagnose festgelegt, sondern richten sich nach den Bedürfnissen des Patienten und des Krankheitsbildes.
  1. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird groß geschrieben. 
  1. Dienste werden ausreichend vergütet. Kein Mensch wird heutzutage Arzt, um reich zu werden. Aber es wird auch niemand Arzt, um unbezahlt zu arbeiten. Ein Beispiel, wie es oft gerechnet wird: Wer unter der Woche einen 24h-Dienst macht, arbeitet also tags in seinem regulären Tagdienst von 8-16 Uhr. Es folgen nun eigentlich 16 Stunden Bereitschaftsdienst, die die Kriterien eines Bereitschaftsdienstes nicht erfüllen, da man (wenn man Pech hat, und das hatte man oft) bis in die frühen Morgenstunden durcharbeitet. Von diesen 16 Stunden Bereitschaftsdienst werden die Minusstunden des Folgetages angezogen, da man um 8 Uhr die Frechheit besitzt, nach Hause zu gehen. Bleiben also acht Stunden Dienst, die man je nach Ausbildungsjahren mit 27-30 € brutto vergütet bekommt. Zu 90% allerdings, da es sich schließlich um einen Bereitschaftsdienst handelte. Es bleiben knapp 200€ brutto. Dafür hat man oft kein Auge zugetan, Verantwortung für Menschenleben und keine Zeit für Hunger, Durst und Toilette. 
  1. Unsere Kinder sind in einer krankenhauseigenen Tagesstätte optimal versorgt. Rund um die Uhr, wenn wir Dienste haben. Wenn Ärzte mal wieder Überstunden machen, sind die Kinder trotzdem betreut und man muss nicht zur KiTa hetzen, um als Letzte seinen Spross abzuholen und das Augenrollen der Erzieherin zu kassieren. 
  1. Gesundes Essen ist rund um die Uhr möglich. Es gibt in großen Konzernen längst Kantinen, die eine gesunde Versorgung ihrer Mitarbeiter ermöglichen. Wer 24h arbeitet, sollte nicht nur von 11-14 Uhr ein warmes Essen zu sich nehmen können. 

 

Aktuell bin ich als Hausärztin tätig. Hier gibt es andere Baustellen. Nichtsdestotrotz bin ich noch so nahe dran am Klinikalltag, dass ich unbedingt etwas verändern möchte. Denn gerade als Hausärztin sehe ich, wie meine Patienten unterversorgt aus der Klinik kommen.

 

 

Wir wollen es doch, das Arztsein! 

 

(Hier bitte gedanklich epische Musik und Wunderkerzen einfügen)

 

Wir Ärzte wollen und können viel arbeiten! Wir sind Selbstgeißelung gewöhnt. Es gehört irgendwie dazu. 

Wir wollen es für unsere Patienten, weil wir unseren Job lieben.

Wir wollen es für junge Kollegen, damit sie einen guten Start ins Berufsleben haben.

Wir wollen es für uns, weil wir Medizin lieben.

Wir wollen dafür aber, dass unsere Familien nicht darunter leiden. 

Wir wollen selbst nicht gesundheitlich darunter leiden, weil wir weder essen noch trinken noch schlafen können oder uns nach dem x-ten Dienst mit Magenschmerzen und Herzrhythmusstörungen zur Arbeit schleppen.

Wir wollen eine angemessene Vergütung, damit unsere Familien ein gutes Leben haben.

 

Keiner von den Kollegen, mit denen ich mich im digitalen Hinterzimmer unterhalten habe, wollte etwas geschenkt. Keiner wollte die entspannte 37-Stunden-Woche. Niemand wollte den ausgerollten roten Teppich.

 

 

Wir wollen einfach nur Ärzte in einem funktionierenden System sein. 

 

Dafür das Twankenhaus! 

 

 

Und wie immer: Arzt=Ärztin, Kollege=Kollegin, Patient=Patientin

 

(Bild: Pixabay/Ivanacoi)