Jeder, der im Gesundheitswesen arbeitet, kennt sie. Und sie sind gefürchtet:
Menschen, die bei Betreten einer medizinischen Einrichtung mit ihrem Kärtchen wedeln und lauthals verkünden:
"Ich bin Privatpatient", sich dabei lässig auf die Theke stützen und mit Blicken nach rechts und nach links signalisieren, dass ab jetzt ein anderer Wind weht.
Natürlich in einer Lautstärke, dass es die gesamte Notaufnahme oder die Anmeldung in der Praxis inklusive Wartezimmer und den Menschen auf der Straße mitbekommen.
Oder Patienten, die sich, sobald sie im Bett in ein Zwei-Bett-Zimmer geschoben werden, mit letzter Kraft aufbäumen und sagen: „Ich habe aber Ein-Bett-mit Chefarzt.“
Ob das nun bedeutet, dass der Chefarzt mit im Ein-Bett-Zimmer liegt, habe ich noch nicht herausfinden können, stelle es mir für den Chefarzt allerdings etwas umkomfortabel und familienunfreundlich vor.
Auch im ambulanten Bereich stellt der Privatpatient gerne klar, dass er JETZT und SOFORT eine Blutentnahme, ein Blastungs-EKG oder einen Ultraschall bekommen muss, weil er sonst FÜR IMMER die Praxis verließe.
Aber ich muss mich natürlich sofort etwas korrigieren: Es sind nicht alle Privatpatienten so.
Dennoch gibt es diesen einen speziellen Typ Patient, der sehr gerne auf seine Position im Gesundheitswesen hindeutet. „Übrigens, ich bin Privatpatient“, sagt er zu jedem, der es nicht hören will.
Denn seien wir ehrlich: wir Angestellte, die eine normale Position im Krankenhaus (außerhalb von Verwaltung oder Chefarztposition), in einer Praxis oder im Rettungsdienst bekleiden, interessieren uns nicht für den Versicherungsstatus des Patienten. Denn was einzig und allein zählt, ist dem Patienten in seiner jetzigen Situation zu helfen.
Zwei-Klassen-Medizin?
Ein Mensch liegt nach Verkehrsunfall auf der Straße und die Rettungsmannschaft trifft ein. Es juckt sie nicht, ob der Verletzte privat oder gesetzlich versichert ist. Sie schalten ihren Modus auf „Rettung“ und legen los.
In der Notaufnahme liegt ein Patient dort, wo ein Bett frei ist.
Den Stationsarzt kümmert es nicht, wo die Gelder des Menschen hinfließen, bei dem er gerade einen Pleuraerguss punktiert, damit dieser wieder freier atmen kann.
Die Pflegefachkraft hängt die Infusion nicht besonders liebevoll an, weil der Mann oder die Frau vor ihr privat versichert ist.
Relevant ist der Versicherungsstatus lediglich für die Verwaltung, die Küche und für den Chefarzt. Die unteren medizinischen Hirarchieebenen haben damit im Krankenhaus nichts zu tun.
Im niedergelassenen Bereich gibt es für Privatpatienten in manchen Praxen schneller Termine und da ihre Kasse viele Untersuchungen bezahlt, auch mehr Diagnostik. Aber die meisten Hausärzte, die ich kenne, behandeln Patienten, weil sie krank sind. Nicht, weil sie privat versichert sind.
Ich kann natürlich jetzt nur davon sprechen, wie ich es erlebt habe: wenn jemand einen Termin braucht, bekommt er den nächsten freien Termin. Egal, ob Privatpatient oder nicht. Untersuchungen, die von Nöten sind, werden gemacht. Untersuchungen, die nicht notwendig sind (Stichwort Überdiagnostik) werden vermieden.
Andere Praxen handhaben es anders, weil Privatpatienten durch die fließenden Gelder eben auch Einnahmen bedeuten. Manche sind leider sehr ambitioniert darin, Privatpatienten den Vorzug zu geben, mit eigenen Wartezimmern und schneller Behandlung.
Ich habe wahrgenommen, dass Kollegen, die es damit übertreiben, im eigenen Umfeld nicht hoch angesehen sind.
Der Privatier
Ich erinnere mich an einen Patienten vor ein paar Jahren im Krankenhaus. Er war zu einer elektiven Untersuchung da, also zu einer geplanten Vorsorgemaßnahme.
Als ich das Patientenzimmer betrete, um mit ihm zu sprechen und die Anamnese sowie die erste körperliche Untersuchung zu machen, blickt er nur kurz von seiner Zeitung auf. „Ich dachte, der Oberarzt kommt? Ich bin Privatpatient“, sagt er und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
Ich stelle mich vor, erläutere, dass der Oberarzt keine Aufnahmeuntersuchung macht und setze mich ihm gegenüber an den Tisch.
Er liest weiter.
Ich beginne, den Anamnesebogen auszufüllen und ignoriere erst mal die Tatsache, dass er mich ignoriert.
„Herr Patient, was machen sie denn beruflich?“, frage ich irgendwann.
Es steht nicht auf dem Bogen, aber ich finde es vor dem Hintergrund mancher Krankheiten relevant zu wissen, wo Patienten arbeiten oder gearbeitet haben.
Er blickt endlich von seiner Zeitung auf, faltet sie langsam zusammen, legt sie bedeutungsschwanger auf dem Tisch, sieht mir eindrücklich in die Augen und antwortet nach einigen Sekunden: „Ich bin Privatier.“ Und man merkt, dass er sich dabei gut fühlt.
Während der weiteren Anamnese wendet er sich wieder seiner Zeitung zu und ich fühle mich wie ein störender Fremdkörper. Damals hatte ich noch nicht die Eier in der Hose, ihn auf das unhöfliche Verhalten hinzuweisen.
Für die körperliche Untersuchung kann er dann leider nicht weiterlesen und ich mache eine komplette internistische Untersuchung. Aufgrund seiner Vorerkrankung gehört dazu auch eine rektale Untersuchung und ich biete ihm an, hierfür einen männlichen Kollegen zu holen, weil er sich ja mit mir offenbar unwohl fühlte.
Er überlegt kurz. „Ist jetzt auch egal“, sagt er genervt und ich schließe die Untersuchung ab.
Zurück im Arztzimmer denke ich hochpoetisch bei mir: „Ob arm oder reich, von der Kehrseite sind sie alle gleich.“
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Bild: Pixabay, Free_Photos
Gender: Ich schreibe für den ungestörten Lesefluss in der maskulinen Form, meine aber immer alle Geschlechter.