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Ein großes Blutbild, bitte.

Etwas eingeschüchtert sitzt die junge Frau vor mir und sagt, sie wolle sich mal testen lassen. „So auf alles.“

 

Jetzt ist hausärztliches Feingefühl gefragt. Was ist alles? Worum geht es eigentlich? Die junge Frau wirkt nervös, angespannt und schämt sich offenbar. Also gehe ich davon aus, dass es sich um eine sehr persönliche Angelegenheit handelt. 

 

Ich hätte gerne mal ein großes Blutbild

 

Manchmal kommen Patienten und sagen: „Ich hätte gerne mal ein großes Blutbild“, weil sie gehört und gelesen haben, dass man sich regelmäßig einfach mal auf ALLES testen lassen soll. Auch bei körperlichem Wohlbefinden und ohne Beschwerden. Weil - Vorsorge ist alles und man könnte ja eventuell irgendeine Krankheit herausfinden. 

 

Dieses ominöse große Blutbild beinhaltet dann aus Patientensicht das kleine Blutbild - also weiße und rote Blutkörperchen, Blutplättchen und Hämoglobin -, Gerinnung, Leber- und Nierenwerte, Bauchspeicheldrüse, Fette, Zucker, Entzündungswerte, Eisen, Ferritin, am besten noch Tumormarker und alle Rheumawerte. HIV vielleicht auch noch. Ach, und die Vitamine D, B12, B6. Und natürlich noch die Spurenelemente Selen, Mangan und Phosphor. Ist ja nicht uninteressant. Ganz wichtig ist auch die Borreliose. 

 

Was wir Mediziner unter einem großen Blutbild verstehen: die Blutkörperchen aufgedröselt nach weiß bis rot, mit genauen prozentualen Anteilen der weißen Blutkörperchen inklusive möglicher Veränderungen, die Hinweise auf eine Bluterkrankung wie Leukämie oder eine Blutarmut ergeben könnten. 

 

Warum schreibe ich das nun so bissig? Weil Google und manche „Heilkundige“ oder die Tante der Nachbarin der besten Freundin sagten, dass man doch unbedingt regelmäßig alles untersuchen lassen soll, weil die Spurenelemente und die Vitamine und das große Blutbild so viel über die Gesundheit aussagen und dieses Halbwissen die Patienten verunsichert, die Praxen verstopft und nur weitere Untersuchungen nach sich zieht, die wahrscheinlich nicht notwendig gewesen wären. 

 

Wir müssen erstmal darüber sprechen

 

Natürlich kann man alles testen. Die Kassen zahlen es nur nicht. Die sogenannte Gesundheitsuntersuchung ab dem 35. Lebensjahr, die alle drei Jahre durchgeführt werden kann, beinhaltet lediglich die Parameter Glucose und das Lipidprofil (Triglyceride, Cholesterin, HDL, LDL) sowie eine Urin-Untersuchung. Auch das Screening auf Prostatakarzinom mittels PSA-Bestimmung ist eine freiwillige Leistung und muss privat bezahlt werden, es sei denn, es ergeben sich beim Tastbefund Hinweise auf eine Erkrankung. Sonstige Werte müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. 

 

Es macht auch einfach nicht viel Sinn, wenn man auf "Alles" testet, denn auf welche Parameter es ankommt, wird im Gespräch deutlich. Entweder, spezielle Symptome führen den Patienten in die Praxis oder die zu testenden Laborwerte ergeben sich im Gespräch: Gab es Krebserkrankungen in der Familie, unklares Fieber, Infektionen, Alkoholkonsum, Gewichtsverlust oder Nachtschweiß, unklare Diarrhoen, bleierne Müdigkeit oder Schmerzen in den Gelenken? Tut es sonst irgendwo weh oder kommt es zu Herzrasen, thorakalen Schmerzen und Luftnot? Lag sexuelles Risikoverhalten vor? Nimmt der Patient Medikamente, die zu Veränderungen von Leber- und Nierenwerten führen können? Hat er oder sie vielleicht wochenlang Ibuprofen geschluckt oder liegen Muskelschmerzen vor?

 

In der körperlichen Untersuchung finden wir dann Hinweise, ob etwas nicht stimmt: Ist die Haut gelb oder blass, wirkt der Patient schwach oder luftnötig, finden wir vergrößerte Lymphknoten, Gelenkschwellungen, Fieber, Petechien, Hämatome oder fällt uns bei der Auskultation und der Palpation etwas auf? 

 

Dann testen wir natürlich, auch auf alles. Und ja, Prophylaxe ist wichtig. Aber eher im Hinblick auf gesunde Lebensführung, Ernährung und Sport. 

Denn dieses Suchen nach „Alles“ im Labor ohne Hinweise auf eine Erkrankung ergibt oft in der Folge nur Unsicherheit und Überdiagnostik. Daher an dieser Stelle mal wieder mein Plädoyer für die sprechende Medizin, denn ohne Sprechen ist Testen auf „Alles“ vollkommen sinnlos. 

 

Wo das Testen sinnvoll ist

 

Auch bei der jungen Frau, die vor mir sitzt, frage ich nun vorsichtig nach, was sie belastet. Ich sehe ihr an, dass sie sich große Sorgen macht. Sie habe vor drei Monaten einen „Ausrutscher“ mit einem unbekannten Mann gehabt, berichtet sie irgendwie beschämt, und möchte sich nun auf HIV testen lassen. Ich habe großen Respekt davor, dass sie sich ihren Ängsten stellt. Außerdem ist es in diesem Fall wichtig, eine eventuelle HIV-Erkrankung so schnell wie möglich zu erkennen, da man bei schneller Therapie-Einleitung die Viren unter die Nachweisgrenze drücken und damit ein annähernd normales Leben führen kann. 

 

Die junge Frau ist gesund und ich bin froh, ihr am nächsten Tag die gute Botschaft mitteilen zu können. Zur Sicherheit sollte man zwar noch einmal sechs Monate nach dem Risikoereignis einen Test machen, aber die heutigen HIV-Tests sind schon nach sechs Wochen sehr sicher. 

 

Reines Testen und Apparatemedizin ergeben sinnvolle Hinweise, die man ohne Gespräche aber nicht einordnen kann. Medizin ohne das Sprechen kann nicht funktionieren. 

 

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Bild: Pixabay, kropekk_pl

Gender: Auch, wenn ich für den besseren Lesefluss die maskuline Form verwende, meine ich natürlich immer alle Geschlechter. 

Anonymität: Geschichten über Patienten sind stets verfälscht zur Zeit, Name und Ort und ggf. Geschlecht.