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Alles Gute zur Geburt

Kennt ihr dieses Kinderlied? Ich habe es meinen Kindern immer vorgesungen: „Still ist’s im Zimmer, draußen ist Nacht. Einer gibt immer gut auf dich acht.“

 

Es ist ein wunderschönes Einschlaflied. Aber es müsste eigentlich heißen: „Stillend im Zimmer, draußen wird’s Nacht. Dass es alles so lange dauert, hätte ich auch nicht gedacht“.

 

Schließlich tut man in den ersten Wochen und Monaten nicht viel anderes, als personalisierte Milchbar zu sein und dem Kind zur Verfügung zu stehen. Und währenddessen saugt das Kind einem quasi das Gehirn zur Brust raus. Oder es fällt wahlweise in die Schublade mit der Brustwarzen-Schrunden-Salbe und den Stilleinlagen und trocknet dort so vor sich hin. 

 

Hach, was fühlt man sich schön mit diesen geäderten Riesenbrüsten, die gerade anfangs so gar nicht zu einem passen mögen und Brustwarzen haben, die aussehen wie ein Pfund gemischtes Hack. Und dazu der labberige Schwangerschaftsbauch, der auch erst nach Monaten zurückgeht. Oder auch nicht.

Fakt ist: Wir Frauen bauen aus unseren Ressourcen ein Kind und das hinterlässt manchmal Spuren. Jedes Kind kostet einen Zahn, sagte man früher. Glücklicherweise ist die gesundheitliche Versorgung der (werdenden) Mütter heutzutage hierzulande wirklich gut. Dennoch zeigt es einfach, was eine Schwangerschaft und auch die Stillzeit einer Frau abverlangen. 

 

Nach der Schwangerschaft passiert so allerlei Neues - Schönes und Unschönes. 

Unmittelbar nach der Geburt hält man dieses kleine Bündel Leben im Arm und kann diese Flut von Liebe, die einen ergreift, nicht in Worte fassen. „Für immer werde ich alles für dich aufgeben und nie eine Sekunde nicht lieben können“. Oxytocin flutet dein Gehirn. 

 

Aber dann sind da auch diese Nähte am Bauch oder am Damm, die schmerzenden Brustwarzen, unschöne  Erkrankungen oder manchmal auch die traurigen Gefühle, die plötzlich auftreten. 

Nicht umsonst sollten man sich im Wochenbett eigentlich etwas schonen, aber das macht ja niemand. Habe ich auch nicht getan, denn ein Studium sagt eben nichts darüber aus, wie ist schlau man ist. 

 

Wochenbettdepression

 

Eine Patientin erzählte mir, dass sie seit der Geburt ihres Kindes nicht mehr fröhlich war. Sie hatte sich das Kind doch so sehr gewünscht, aber dann war die Schwangerschaft so anstrengend. Schwangerschaftsdiabetes, Karpaltunnel, Hämorrhoiden, Gewichtszunahme. „Ich habe das Gefühl, nur noch überfordert zu sein. Das Stillen klappt auch nicht. Nichts klappt.“

 

„Haben Sie denn eine Nachsorge-Hebamme?“, fragte ich sie und sie nickte. 

„Aber sie war letzte Woche selbst krank.“ Hm, sowas passiert, dennoch wäre eine Vertretung gut gewesen. Leider sind auch die „freien“ Hebammen inzwischen so dezimiert, dass sie sich vor Anfragen kaum retten können. 

Meine Patientin berichtete weiter: „Ich bin nur noch müde. Und manchmal weiß ich nicht, warum ich überhaupt ein Kind wollte.“

 

Das klang schwer nach einem „Baby-Blues“ oder sogar nach einer Wochenbettdepression. Der Blues kommt nach ein paar Stunden bis Tagen und geht normalerweise nach einigen Tagen auch wieder weg. Durch hormonelle Schwankungen postpartal (nach der Entbindung) treten leichte depressive Verstimmung oder Labilität auf und fast ein Viertel aller Frauen erlebt das. 

 

Davon muss man die Depression abgrenzen, die etwa 10 bis 15 Prozent der Wöchnerinnen betrifft und charakteristische Symptome wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Appetitverlust, Schuldgefühle oder sogar Suizidgedanken mit sich bringt. Interessanterweise entwickeln auch 5-10 Prozent der Männer eine Wochenbettdepression, insbesondere bei betroffener Partnerin. 

 

Fünf Symptome müssen über zwei Wochen bestehen, um die Diagnose einer Wochenbettdepression zu stellen. Außerdem gibt es spezielle Fragebögen, um die Krankheit festzustellen. 

 

Man behandelt sie je nach Schweregrad mit Psychotherapie oder in Kombination mit Antidepressiva. Hierzu sei gesagt, dass die Medikamente in die Muttermilch übergehen und das richtige Medikament zusammen mit dem behandelnden Arzt ausgesucht werden kann, dann muss nicht zwangsläufig abgestillt werden. Ferner ist es wichtig, die Schilddrüse mit abzuklären, da diese nach der Geburt auch mal eine Postpartum-Thyreoiditis - also eine Entzündung - entwickeln kann, die eine ähnliche Symptomatik macht. 

 

In sehr seltenen Fällen gibt es auch eine Wochenbett-Psychose, die aus Scham oft verschwiegen wird und sich beispielsweise durch Wahnvorstellungen, Hören von Stimmen oder ausgeprägte Angst- und Misstrauenszustände äußert. (Im Übrigen gibt es auch Menstruationspsychosen, die eine Art Steigerung des Prämenstruellen dysphorischen Syndroms sind, die wiederum eine Steigerung des Prämenstruellen Syndroms ist. Frauen sind gestraft mit diesen Hormonen. Aber das nur als Einschub.)

 

Psychische Störungen nach der Geburt sind so alt wie die Menschheit. Hippokrates und Galen vermuteten ein Eindringen von Muttermilch in das weibliche Gehirn. Aber auch, wenn es sich aus mütterlicher Sicht so anfühlt: Überraschung! Dem ist nicht so. 

 

Pospartale Thyreoiditis 

 

Die Postpartale Schilddrüsenentzündung habe ich oben schon angesprochen. Sie ist eine Unterform der lymphozytären Thyreoidits und bildet wie die Hashimoto-Thyreoiditis TPO-Antikörper. Wer in der Schwangerschaft bereits damit belastet ist, hat ein höheres Risiko, eine solche Schilddrüsenentzündung nach der Geburt zu entwickeln. Sie tritt etwa 4-24 Wochen nach der Geburt auf und verursacht keine Schmerzen, ihre Symptome können mit einer Wochenbettdepression verwechselt werden.

 

Anfangs stehen Zeichen der Überfunktion mit Zittern, Herzrasen oder Nervosität im Vordergrund, es folgt dann die Phase der Unterfunktion mit Antriebsarmut und Müdigkeit.

 

Wie immer in der Medizin: Alles kann, nichts muss. Manchmal kommt es auch nur zur Über- oder nur zur Unterfunktion. Bei der Hälfte der Frauen heilt die Erkrankung folgenlos ab, bei den anderen bleibt eine Unterfunktion bestehen, die man mittels Tabletten ausgleichen muss. 

 

Postpartale Kardiomyopathie (PPCM)

 

Nach der Geburt gibt es auch Erkrankungen, die lebensbedrohlich sind und als Notfälle gelten. Die Postpartale Kardiomyopathie (PPCM) ist in Europa eher selten (1:300 bis 1:1400), in Südafrika und Haiti gibt es diese Erkrankung häufiger. Sie äußert sich in Zeichen einer Herzschwäche und tritt innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt auf.

 

Luftnot, Beinödeme, Husten sind klassische Symptome einer Herzinsuffizienz, werden aber aufgrund der Seltenheit der Erkrankung häufig der Belastung zugeschrieben oder auch mal einer Lungenentzündung. 

Es gibt wohl eine genetische Veranlagung für die PPCM, außerdem sind Rauchen, Präklampsie, wehenhemmende Medikamente, Zwillingsschwangerschaften, ältere oder sehr junge Frauen als Risikofaktoren genannt. Allerdings sind ein Viertel der Betroffenen junge, gesunde Frauen. 

 

Oft ist die Herzschwäche unerkannt, dabei wird sie schnell lebensbedrohlich. Denn die Herzkammer „leiert“ aus und kann die benötigte Pumpleistung nicht mehr erbringen, so dass sich Wasser in der Lunge und in den Beinen sammelt. Außerdem können gefährliche Herzrhythmusstörungen auftreten. 

 

Auch Hausärzte müssen dann daran denken, dass es die PPCM gibt und die Patientinnen bei diesen Symptomen umgehend einem Kardiologen vorzustellen. Die Behandlung erfolgt anhand der Leitlinien für die Herzinsuffizienz, zum Teil muss sogar an eine Transplantation gedacht werden.

 

Postpartale Eklampsie

 

Die Eklampsie gehört zu den hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, also zu den Erkrankungen, die mit einem erhöhten Blutdruck einhergehen. Und weil die Präklampsie, die Eklampsie und das HELLP-Syndrom innerhalb von Stunden gefährlich werden können, messen Hebammen und Gynäkologen in der Schwangerschaft so häufig den Blutdruck.

 

Tritt nach der 20. SSW ein Blutdruck über 140/90mmHg auf, sollte (wenn es sich nicht um einen Notfall handelt), der Blutdruck nach vier Stunden abermals gemessen werden, um die Diagnose zu stellen. Eine Eiweißausscheidung im Urin (24-Stunden-Sammelurin) gehört ebenfalls zur Diagnose dazu.

 

Gesellen sich zur Präklampsie Krampfanfälle ohne andere, bekannte Ursache hinzu, redet man von einer Eklampsie, die sich auch aus einer schwelenden Präklampsie entwickeln kann. Unbehandelt endet eine Eklampsie häufig tödlich. 

Das HELLP-Syndrom ist eine weitere gefährliche Komplikation, die mit verminderten Blutplättchen, erhöhten Leberenzymen und einer Hämolyse (Blutkörperchen werden zerstört) einhergeht.

 

Die Präklampsie erfordert eine strenge Überwachung, die Eklampsie und das HELLP-Syndrom meist eine sofortige Entbindung. Die Präklampsie/Eklampsie entwickelt sich in 25% der Fälle erst im Wochenbett, meist innerhalb von vier Tagen, aber auch bis zur sechsten Woche nach der Geburt kann sie auftreten. 

 

Postpartale Sexualität

 

Und ich wäre natürlich nicht ich, wenn ich nicht auch ein heißes Eisen anfassen würde: Sex nach der Geburt. 

Es ist normal, dass es erstmal zu einer Flaute kommt. Die kann unterschiedlich lange andauern und betrifft nicht nur die Frauen. Seitdem Männer mehr und mehr die Verantwortung übernehmen und sich als Teil des „Babymachens“ verstehen (Anwesenheit bei der Geburt, schlaflose Nächte, Füttern, Wickeln) ist auch bei ihnen anfangs das Bedürfnis häufig verringert. Es nimmt einfach nicht mehr so viel Raum ein.

 

Bei Frauen können die Hormone eine komplette Lustlosigkeit oder auch eine vermehrte Lust hervorrufen. Außerdem sind Frauen häufig am Damm gerissen und genäht, zuweilen gibt es auch unentdeckte Abrissverletzungen des Beckenbodens und Symphysendehnungen. Das alles muss erstmal ausheilen.

 

Frauen haben oft auch Angst, nun „ausgeleiert“ zu sein und dem Mann nicht mehr zu genügen, und Männer haben Sorge, ihrer Frau Schmerzen zuzufügen. Zu guter Letzt kommt das permanente Stillen des Kindes und der Wochenfluss dazu - diese unschöne, braune Suppe, die sich sechs Wochen lang den Weg nach außen bahnt, damit du auch ja nicht vergisst, was du getan hast. „Ich weiß, was du vor sechs Wochen getan hast“ bekommt eine ganz andere Bedeutung. 

 

Geschlechtsverkehr ist von Anfang an erlaubt, aber bitte mit Kondom, damit es an der Plazentahaftstelle nicht zu einer Infektion kommt, die sich zur Puerperalsepsis (Kindbettfieber) ausdehnen kann. Einige werden vielleicht mal eine Plazenta gesehen haben: sie ist etwa so groß wie ein XXL-Schnitzel (hat aber die Konsistenz eines Steaks in rare medium) und erzeugt einiges an Wundfläche an der Haftsstelle. In den ersten Tagen nach der Geburt ist der Muttermund noch klaffend geöffnet (schließlich musste er sich auf 10cm Weite öffnen), daher kann es zu aufsteigenden Infektionen kommen, wenn Geschlechtsverkehr ohne Kondom stattfindet. 

 

Ansonsten ist wie immer alles erlaubt, was beiden gefällt. Und: Stillen schützt nicht immer vor einer erneuten Schwangerschaft. Gerade wenn die Stillpausen länger werden, kann ein Ei springen und das Geschwisterchen winkt der Mutter schon fröhlich aus dem Eileiter zu. 

 

Postpartale Gedächtnisstörung 

 

Man ist ja mental nicht ganz bei sich, solange man stillt. Ich habe nicht viele Erinnerungen an die Zeit (kein Wunder), außer dass alles weh tat, der Milchstau schmerzte, ich mehrere Mastitiden (Brustentzündungen) hatte und mit Herzrhythmusstörungen im Krankenhaus landete, wo ich in der Notaufnahme abpumpen musste, damit mir nicht die Brüste um die Ohren fliegen. Ich war zwar durch einen Paravent abgeschirmt, aber alle hörten das surrende Geräusch der Pumpe und sahen die Fläschchen mit Milch neben der Spüle stehen.

 

Ein Mann sprach mich später beinahe sabbernd an: „Sie waren doch die mit der Muttermilch.“ 

Würg. Kotz. Er hatte wohl Hunger, der arme Mann. 

 

Stilldemenz entbehrt einer wissenschaftlichen Grundlage. Es handelt sich auch nicht um eine Demenz, sondern um eine vorübergehende Gedächtnisstörung, die irgendwann wieder nachlässt.

Wahrscheinlich spielt der PER-MA-NEN-TE Schlafmangel eine Rolle, wahrscheinlich auch die Hormone (mal wieder) und auch einfach die Tatsache, dass das Baby dauerhaft Aufmerksamkeit fordert und man dann doch auch im Liebesrausch ist. Diese Ärmchen! Und die Füßchen! Und wie süß es quäkt. 

 

Gegen die Stilldemenz kann man nichts tun, außer einen Kalender zu führen. 

Aber dank ihr werdet ihr auch den halben Artikel und die ganzen unschönen Dinge gleich wieder vergessen haben und die Kinder als das sehen, was sie sind: Das schönste, was man je gebastelt hat. 

 

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Bild: Pixabay, aitoff

Gender: Wie immer gilt, dass ich für den Lesefluss in der maskulinen Form schreibe, auch wenn ich natürlich alle Geschlechter meine. Einen Wöchner gibt es allerdings nicht, man möge mir verzeihen. ;) 

Danksagung: Vielen lieben Dank an @stud_hebkunde für das fachliche Gegenlesen des Artikels.