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"Ironman" mit Bronzediabetes - Über Hämochromatose

Herr Meier (ich bin ja immer sehr kreativ in der fiktiven Namensfindung) ist heute bei mir, weil er im Rahmen der Disease Management Programme (DMP) einen Termin zur Blutentnahme hatte. 

Mit Hilfe der DMPs kann man Patienten mit chronischen Erkrankungen regelmäßig in die Praxis einbestellen und den Krankheitsverlauf beobachten, wenn nötig einschreiten oder kleine medikamentöse Stellschrauben drehen. 

 

Herr Meier hat eine Koronare Herzkrankheit, das heißt, seine Herzkranzgefäße sind „verkalkt“ und versorgen das Herz schlechter mit Sauerstoff. Deswegen war er vor einem halben Jahr bei einer Herzkatheteruntersuchung im Krankenhaus und kommt seitdem regelmäßig in die Praxis, damit wir die Verlaufskontrollen manchen. 

 

Bei einer KHK kann das Herz nicht mehr optimal arbeiten. Im langfristigen Verlauf versucht man daher, Risikofaktoren für das Fortschreiten der Gefäßveränderungen zu vermeiden oder zu minimieren, als da wären: Rauchen, Adipositas, hohe Cholesterinwerte und Diabetes mellitus.

Das geschieht einerseits mit Hilfe von Lebenstiländerungen (Gewichtsreduktion, Ernährung, Rauchen einstellen, Bewegung), aber auch mit Medikamenten, wenn die Änderungen im Lebensstil nicht ausreichen. 

 

Es gibt drei große versorgende Gefäße, die wie Arme um das Herz greifen. Und je nachdem, wieviele Gefäße am Herz betroffen sind, bezeichnet man die KHK als 1-Gefäß-KHK, 2-Gefäß-KHK oder 3-Gefäß-KHK. Die KHK kann langfristig zu Herzinfarkten, Herzinsuffizienz (Herzschwäche), und/oder Herzrhythmussstörungen führen. Wenn jemand bei einem Herzinfarkt akut im Rahmen eines plötzlichen Herztodes verstirbt, stecken hier meist maligne Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern dahinter. 

 

Eigentlich zu jung für so krank

 

Mein Patient ist noch jung, erst 48 Jahre alt. Er raucht nicht, lebt gesund, aber seine Fettwerte sind nicht ganz in Ordnung. Aber auch nicht horrende erhöht. Eigentlich ist er nicht der klassische Vertreter für eine KHK in dem Alter. Natürlich gibt es auch junge Menschen, die mit Ende Dreißig (oder früher) schon den ersten oder auch den tödlichen Herzinfarkt haben. In vielen Fällen sind diese Menschen die wandelnden Risikofaktoren, aber oft liegt auch eine Fettstoffwechselstörung vor (z.B. Alphalipoproteinämie) oder eine familiäre Vorbelastung vor. 

 

„Herr Meier, haben Sie in der Familie Vorerkrankungen?“ Er schüttelt den Kopf. 

„Die Mutter hatte mit 75 Jahren eine Darm-OP. Den Vater kenne ich nicht.“

Ich studiere nebenbei die Blutwerte. Seine Cholesterinwerte, also Gesamtcholesterin, HDL, LDL sind erhöht und er nimmt inzwischen schon Medikamente dagegen ein. Und sein Langzeitblutzuckerwert gefällt mir nicht so gut. Er liegt mit 6,4% gerade noch unter der Grenze zu einem handfesten Diabetes. Die Zone zwischen 5,9% und 6,5% ist ein Graubereich. Auch das passt eher weniger zu einem schlanken Menschen. 

„Die Zuckerwerte sind wieder gestiegen, von 6,1% beim letzten Mal auf 6,4%“, erkläre ich ihm und er schüttelt etwas resigniert den Kopf. 

„Ich nehme ja schon Metformin“, sagt er missmutig, während ich alte Blutwerte aus einem Arztbrief seiner Herzkatheteruntersuchung studiere, den er mir heute mitgebracht hat. Dass man die Arztbriefe so spät erst in den Händen hält, ist nicht so ungewöhnlich. Entweder, die Klinik war wie immer heillos überlastet und schickte den Brief erst spät an den Hausarzt. Oder der Patient bringt den Brief irgendwann später bei nächster Gelegenheit zum nächsten Termin mit. 

 

In dem Arztbrief fällt mir etwas auf. Im Krankenhaus wurde ein umfassendes Labor abgenommen und einige Werte sind nicht im Normbereich.

 

Alles voller Eisen

 

Dort waren seine Leberwerte, sein Ferritin- und der Eisen-Wert erhöht. Das Ferritin ist ein Protein, das Eisen speichert und damit als Eisen-Depot fungiert. Ist es erniedrigt, kann das auf eine Blutarmut hindeuten. Ist es erhöht, kann es im Rahmen von Entzündungsprozessen, Tumoren oder Eisenspeicherkrankheiten zu hoch sein.

Ein einmalig erhöhter Wert stresst mich zwar nicht, dennoch lasse ich Herrn Meier nochmal Blut abnehmen und wir verabreden uns für den nächsten Tag. Denn ich habe den Verdacht auf eine Hämochromatose - eine Eisenspeicherkrankheit, die aufgrund der Eisenüberladung zu Leberschäden in Form einer Leberzirrhose, einem frühzeitigen Diabetes, einer bronzefarbenen Haut („Bronzediabetes“) , Herzmuskelschäden und Potenzstörungen bei Männern führen kann.

 

Beim folgenden Termin berichte ich ihm, dass der Ferritinwert nach wie vor zu hoch ist. Außerdem ist zusätzlich die Transferrinsättigung erhöht, so dass ich sehr sicher bin, dass bei ihm eine Hämochromatose vorliegt, das auch als Ursache für den Diabetes plausibel ist.

 

Das Transferrin ist ein Eisentransportprotein, das mehr Eisen transportiert, wenn mehr Eisen im Blut vorhanden ist. Wie bei Herrn Meier. Für die Sicherung der Diagnose müssen wir nun einen Gentest machen, denn die Erkrankung kann primär (also genetisch) oder sekundär (als Folge einer anderen Krankheit) vorliegen. 

 

Ich erkläre Herrn Meier das Krankheitsbild und gebe ihm eine Überweisung für einen Hepatologen mit, der die Leber untersuchen wird. Dann mache ich noch einen Ultraschall, um nach zirrhotischen Veränderungen zu schauen. Ich sehe ich allerdings keine Zeichen einer Zirrhose und bin zuversichtlich, dass wir früh genug mit der Therapie anfangen. Aber vorher warten wir die genetische Untersuchung ab. 

 

Aderlässe mit Evidenz 

 

Der Körper selbst kann Eisen nicht aktiv ausscheiden, daher macht man bei Hämochromatose in regelmäßigen Abständen Aderlässe, nämlich 4-12 pro Jahr, je nach Notwendigkeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Krankheiten, die so mancher „Heiler“ mit Aderlässen behandeln will, sind sie bei Hämochromatose evidenzbasiert und die Therapie der Wahl. Den Aderlass - die Phlebotomie-  macht man natürlich inzwischen nicht mehr mit einem Schnitt in die Adern, den man einfach ausbluten lässt.

 

Man legt eine Venenverweilkanüle und lässt das Blut durch einen Schlauch in eine spezielle Flasche laufen. Mit dem Ablassen von 500 ml Blut verliert man 250mg Eisen. 

Eine eisenarme Kost ist nicht notwendig, auf Alkohol sollte weitestgehend verzichtet werden, ebenso wie auf Vitamin-C-Zufuhr, da Vitamin-C die Eisenresorption im Darm erhöht.

 

Im Verlauf bestätigte der Gentest die Diagnose und Herr Meier war nach Normalisierung seiner Eisenwerte mehrfach beim Blutspenden, weil er das gute Blut nicht verschwenden wollte. Eine grandiose Idee von ihm, wie ich finde. Die Hämochromatose ist kein Hindernis für eine Blutspende, siehe hier

 

Einige Monate später hatten sich seine Eisenwerte allesamt normalisiert, auch die Blutzuckerwerte hatten sich verbessert. Die KHK hat allerdings nichts mit der Hämochromatose zu tun und muss weiter regelmäßig kontrolliert werden. Da der Vater dem Patienten unbekannt ist, wird man nie herausfinden, ob er vielleicht ebenfalls eine KHK oder eine Hämochromatose hatte. 

 

Fakt ist, die Hämochromatose hätte die bestehenden Herzprobleme natürlich nicht besser gemacht. 

 

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Bild: Pixabay, Overjupiter

Gender: Wenn ich in der männlichen Lesart schreibe, meine ich dennoch alle Geschlechter.