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Bang! Boom! Böllerei!

Diesen Artikel schrieb ich am 28.12.2020. An meiner Haltung dazu und an den wesentlichen Fakten hat sich nichts geändert, bis auf die Tatsache, dass wir nun hoffentlich die Pandemie bald überstanden haben.

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Alle Jahre wieder ist es soweit. Wenn Weihnachten vorbei ist und wir uns zwischen den Jahren befinden, kommt die Zeit, sich zu besinnen, schlechte Jahresrückblicke anzusehen und das Vergangene Revue passieren zu lassen. 

 

Das Jahr 2020 hatte ja so allerhand erlesene Scheußlichkeiten für uns zu bieten, aber leider steht der Höhepunkt der Pandemie wohl noch bevor, daher brauchen wir noch ein wenig Atem für das, was kommt. Und es atmet sich am besten mit Luft, die nicht von der jährlich zelebrierten Böllerei befeinstaubt wurde. 

 

In diesem Jahr wurde die Silvestersause verboten, auch der Verkauf von Knallkörpern und Feuerwerk ist untersagt, und ich begrüße das. Denn in der Regel finden sich an Silvester größere, mäandernde Menschenansammlungen, die sich in feuchtfröhlicher Erquickung dem Jahreswechsel, dem Alkohol und dem illuminierenden Schauspiel am Himmel mit allerlei „Ahhs“ und „Ooohs“ hingeben. Bäng, Boom, Prost! 

 

Dabei muss ich zugeben, dass ich als Kind dem leuchtenden Spektakel ebenfalls gerne zusah. Es hat ja auch stets etwas Episches und Besinnliches, das alte Jahr zu verabschieden und das Neue mit Wumms zu begrüßen. 

Aber ich tat es meist von drinnen oder mit Ohrenschützern. Vielleicht war ich schon immer ein kleines Weichei, aber bereits als Kind hatte ich Angst vor dem lauten Knallen, oder davor, dass meinen Lieben etwas passiert. Denn abgetrennte Hände, geplatzte Trommelfelle, Feuer im Haar oder im Auge sind der Gesundheit nicht gänzlich zuträglich. 

 

Diese Angst ist auch nicht unbegründet. Ich habe mich für diesen Text einmal damit befasst, welche Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt die jährliche Böllerei hat. Ich versuche, objektiv zu bleiben, aber man mag mir verzeihen, falls in meinem Blog auch meine Meinung herauszulesen ist.

 

Fangen wir an.

 

Böllern ist schlecht für die Gesundheit und die Umwelt. Danke fürs Lesen meines objektiven Artikels. 

 

Okay, na gut. Ich versuche es.

 

Feinstaub in den Lungen

 

Laut Umweltbundesamt (UBA) werden jedes Jahr an Silvester 2050 Tonnen Feinstaub in die Luft geblasen, was ungefähr einem Prozent der Jahresemissionen an Feinstaub in Deutschland entspricht - in den wenigen Stunden. Bislang war man von deutlich höheren Werten ausgegangen, nämlich von etwa 4000 Tonnen pro Jahr. Allerdings hat der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) ein unabhängiges Institut mit der Aufgabe betreut, die exakte Feinstaubbelastung zu eruieren. Das Umweltbundesamt selbst hält die Messungen für valide.

 

Dass der VPI selbstredend ein Interesse daran hat, seine Feuerwerkskörper als wenig gesundheitsschädlich zu präsentieren, liegt in der Natur der Sache. Für mich hinkt die Aussage „Es ist ja gar nicht so viel Feinstaub“ ein wenig, denn die eingeatmete Menge in der kurzen Zeit hat deutliche Auswirkungen auf unsere Lungen. Das klingt für mich, als würde man eine Verletzung mit der Motorsäge als weniger schlimm betrachten, weil der Muskel nur KURZ zerfetzt wurde. Reißerische Aussage, mag sein. Aber Feinstaub kann Asthmaanfälle, Herz-Kreislauf-Probleme und vermehrte Klinikaufenthalte nach sich ziehen. Laut Umweltbundesamt ist die Sterblichkeit erhöht, denn man vermutet, dass es keine Schwelle gibt, unter der Feinstaub nicht gefährlich ist. Zudem enthalten die Feuerwerkskörper Metalle, die für das hübsche Leuchten verantwortlich sind. Beim Einatmen der abgebrannten Reste gelangen sie aber teilweise bis tief in die Atemwege und können dort Entzündungen und Exazerbationen (akutes Aufflammen) von Lungenkrankheiten auslösen. 

 

Ein Forscherteam aus New York (Grossmann School of Medicine) setzte menschliches Gewebe und Nagetiere dem Qualm von abgebranntem Feuerwerk aus, wobei sich eine verstärkte Oxidation des Gewebes zeigte. Die Oxidation kann Zellen und Gewebe zerstören.

Zudem fanden sie eine schädliche Menge an Blei in zwei von zwölf untersuchten Böllern. Die Luft an Silvester und am wichtigen amerikanischen Feiertag 4. Juli in New York enthielt außerdem deutlich mehr Blei, Strontium und Kupfer. 

 

Die Helmholtz-Gesellschaft (Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt) bewertet den Staub, der an Silvester in die Luft gepustet wird und viele sogenannte Übergangsmetalle enthält, ebenfalls kritisch. Asthmatiker und Lungenkranke sollten sich diesem nicht aussetzen. Da die Partikel größer seien, würden sie aber beinahe wieder vollständig abgeatmet. 

 

Der Bundesverband der Pneumologen BdP schreibt hingegen, dass die bis zu 30 Metallverbindungen enthaltenen Feinstaubteilchen bis tief in die Atemwege vordringen können und rät, sich bei einem Feuerwerk nicht in die Windrichtung zu stellen und besser noch das Spektakel vom geschlossenen Fenster anzusehen. Ferner solle man im neuen Jahr erst spazieren gehen, wenn der Rauch sich verzogen hat. 

 

Es bleibt das Fazit, dass Lungenkranke sich dem Feinstaub nicht aussetzen sollten. Und mein persönlicher Gedanke, ob Lungengesunde nicht auch lieber ihre Atemwege schonen mögen. 

 

Krach in den Ohren

 

Etwa 8000 Menschen erleiden pro Jahr eine teilweise bleibende Schädigung des Innenohrs durch die Knallerei. Obwohl die Lautstärke von Feuerwerkskörpern europaweit auf einen Schallpegel von 120 dB (Dezibel) festgelegt wurde, die ein Silvesterfeuerwerk aus acht Metern Entfernung gemessen einhält.

 

Aber: Sobald der Sicherheitsabstand unterschritten wird, steigt die Gefahr fürs Ohr rasch. Gemessen aus nur einem Meter Sicherheitsabstand ist der Schallpegel um 18 dB höher. 

 

Da das aber wenig anschaulich ist, hier ein kleiner Spaziergang durch die Welt des Lärms:

 

Gedanklich befinden wir uns gerade in einer stillen, klirrend kalten Winternacht. Die Sterne am Himmel blinken sanft, der sichtbare Atmen wirbelt durch die Luft und kein Geräusch weit und breit ist zu hören. Nur der Schnee fällt sanft zu Boden und erfreut uns mit 10 Dezibel an seinem Tun.

Die Person neben uns nimmt ergriffen unsere Hand und flüstert andächtig: „Ist das schön hier…“, was wir mit 40 Dezibel auf die Ohren bekommen.

Trotz aller Liebe und Andacht wird uns langsam kalt und wir gehen nun nach Hause, um uns einen Tee zu kochen. Der Wasserkocher blubbert mit 70 Dezibel vor sich hin.

Der oder die TeenagerIn im Zimmer findet das ganze Weihnachtsgetue allerdings ziemlich schwulstig und nervig und röhrt mit Rockmusik mit 110 dB gegen die Romantik der Winternacht an. Der Nachbar, der rein zufällig Jäger ist, ist wütend ob der wummernden Bässe und gibt einen Warnschuss in die dunkle Nacht ab, welcher ungefähr 140 dB erreicht. 

Hach ja, und die Winternacht fing so romantisch an. 

 

Laut Ärzteblatt erreichen Böller aus der Nähe teilweise eine Lautstärke von 160 dB und sorgen für eine ganze Reihe von Problemen: von kurzfristigen bis länger andauernden Hörverlusten, Tinnitus, Trommelfellperforationen bis hin zu dauerhafter Innenohrschädigung reicht das Knall-Portfolio. 

Insbesondere Kindern sollten gute Ohrenschützer aufgesetzt werden, wenn man ihnen keinen dauerhaften Schaden zufügen will. 

 

Verletzungen an Händen, Haut und Augen 

 

Abgetrennte Finger, Knochenbrüche, Risse der Augenlider, Prellungen der Augäpfel, Verbrennungen. Die Liste an möglichen Verletzungen ist lang und beschert den Kliniken arbeitsintensive Nächte und den Verletzten schmerzhafte und schlimme Folgen einer Böllerei. 

 

Viele Patienten sind männlich, jung und standen unter Alkoholeinfluss, wodurch die Vorsicht ab-, und die Risikobereitschaft zunimmt. Böller werden zu lange in der Hand gehalten, was noch viel gefährlicher ist, wenn es sich um nicht geprüfte Knallkörper handelt. 

 

Ich erinnere mich an meine Kindheit auf dem schwäbischen Dorf, als ein Jugendlicher sich mit einem solchen illegalen Böller tragischerweise die Hand absprengte. Er war in der Hand nach dem Anzünden sofort explodiert.

Auch habe ich schon einige Bilder von Händen nach einem Böllerunglück gesehen und muss leider sagen: Hackfleisch ist die beste Zustandsbeschreibung. 

 

Aber auch die inaktiven Zuschauer sind betroffen: 60 Prozent der Verletzten waren nicht selbst als „Böllernde“ tätig, sondern wurden von herabfallenden Teilen, Querschlägern und „haha, wie witzig, ich werfe einen Böller in deine Richtung“-Aktionen verletzt. 

 

Der Verband der pyrotechnischen Industrie gibt Sicherheitstipps auf seiner Seite: niemals alkoholisiert ein Feuerwerk anzünden, die Raketen aus standsicheren Gefäßen (in Getränkekästen) abfeuern, keine Kinder mitzündeln lassen, Blindgänger nicht wiederverwenden und bei einem Silvesterunfall die 112 anrufen. 

 

Folgen für Tiere und Umwelt 

 

Für die meisten Tiere bedeutet der Krach massiven Stress, da sie oft ein feineres Gehör haben und  den Lärm natürlich kognitiv nicht einordnen können. "Ach, die Menschen, da böllern sie wieder!", wird so in wohl in keinen Haustiergehirn eingeordnet. 

 

Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) empfiehlt ggf. ein leiseres Feuerwerk, dann sei ein Feuerwerk für die „tierischen Freunde eine willkommene Alternative“. 

Aha.

„Sieh mal, Bambi, ein Feuerwerk!“, sprach der große Hirsch und erfreute sich mit wehmütigem Herz an der bunten Lumineszenz. So etwa? Der VPI und ich werden keine Freunde, glaube ich.

 

Oftmals müssen Tiere medikamentös beruhigt werden, um die Lautstärke angstfrei zu überstehen. 

 

Und auch unsere Umwelt leidet. Auch wenn wohl an umweltfreundlicheren Böllern gearbeitet wird, bestehen die Teile immer noch aus viel Plastik und Müll, und der liegt am Folgetag auf den Straßen und in der Natur. Rund 200 Tonnen Silvesterabfall werden in den größten fünf deutschen Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt) am Neujahrstag entfernt - und einige Tage später nochmal die Reste mit der normalen Straßenreinigung. Außerdem gibt es ja noch den Müll, den  glücklicherweise vernünftige Menschen am Folgetag selbst aufkehren und in den Restmüll schmeißen, denn es gilt das Verursacherprinzip: wer Müll macht, macht ihn auch weg. 

 

Fazit

 

Für den Artikel habe ich mich ausgiebig mit dem Thema Feuerwerk beschäftigt und bin zu dem gleichen Schluss gekommen, wie ich zu Anfang des Textes schrieb:

Böllern ist schlecht für die Gesundheit und die Umwelt und macht leider gar keinen Sinn.

 

Selbst, wenn man den Verfechtern der Knallerei glauben mag, dass die Feinstäube weniger gefährlich, der Müll nicht giftig und Feuerwerk für den Menschen bei richtiger Handhabung nicht gefährlich sei - es bleibt die Frage nach der Sinnhaftigkeit.

Ein schönes, leises Schauspiel ohne Gesundheitsgefahr können auch Lichtinstallationen bieten.

 

Und da die Böllerei in diesem Jahr verboten ist, kann man ja wunderbar die Effekte des fehlenden Feuerwerks mit denen der letzten Jahre vergleichen. 

 

Wird es weniger Müll geben? Wird es weniger Verletzte geben? Wird die Luft besser sein?

Ich wage todesmutig einen Versuch und prophezeie: 

Ja. 

 

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Quellen (alle abgerufen am 28.12.2020)

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020_hgp_wenn_die_luft_zum_schneiden_ist_bf_0.pdf

https://www.helmholtz.de/gesundheit/wie-gefaehrlich-ist-die-knallerei/

https://particleandfibretoxicology.biomedcentral.com/track/pdf/10.1186/s12989-020-00360-4.pdf

https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/-89b693029a/

https://www.aerzteblatt.de/archiv/29938/Gehoerschaeden-durch-Silvester-Feuerwerkskoerper

https://www.feuerwerk-vpi.de/innovation-sicherheit-und-forschung/umwelt-und-gesundheit/

 

Bild: pixabay, pencilparker