· 

Der Schuster hat nicht immer gute Schuhe

Als Ärztin kann man ganz brauchbar sein, und trotzdem das Offensichtliche bei sich selbst nicht erkennen. Man hört das doch immer wieder, dass Ärztinnen und Ärzte ganz schreckliche Patientinnen und Patienten sind, und leider trifft das auch auf mich zu. Es ist schon fast peinlich und ich musste über mich selbst die Augen verdrehen, aber ich erzähle Euch die Geschichte.

 

Lauter Mückenstiche

 

Vor gut einer Woche hatte ich am Brustkorb, unterhalb der rechten Brust, einen fiesen Mückenstich. Er juckte fürchterlich, doch das haben diese Mückenstichen eben so an sich. Zwei Tage später probierte ich neue T-Shirt-BH’s an, die ich online bestellt hatte. Für die Nicht-BH-Experten möchte ich gerne erklären, dass T-Shirt-BH’s keine besonderen Muster, Spitze oder Klimbim haben, sondern schlicht sind und leicht wattiert, ohne einen monströsen Push-Up-Effekt. Sie sollen einfach unter eng anliegenden T-Shirts gut aussehen, und verhindern dass sich was abzeichnet. 

Ich habe nicht gerade die voluminösesten und weiblichsten Formen, daher ist BH-Kauf nicht immer so einfach. Entweder die Dinger haben wattierte Cups bis zum Horizont, oder man müsste ein Paar Socken reinstopfen, damit sie sitzen.

 

Aber diese hier saßen gut. "Prima", dachte ich also bei mir, schnitt das Preisschild und die Zettelchen ab und ließ sie in der Waschmaschine einmal durchwaschen, um mögliche Chemikalien aus dem Stoff zu spülen. 

 

Am Folgetag wollte ich die neue Errungenschaft dann tragen. Aber als ich sie nur eine Minute angezogen hatte, spürte ich ein entsetzliches Kratzen auf der Haut. Zuerst schob ich es auf den großen Mückenstich, doch irgendwie kratzte die gesamte rechte Seite. Vorne, seitlich, hinten. Ich zog das blöde Teil aus, weil ich es keine fünf Minuten auf der Haut ertrug und schaute mir die Nähte an. Eigentlich sah alles gut verarbeitet aus. Also schrieb ich dem Online-Händler eine freundliche Email und fragte, ob ich die Kleidungsstücke trotz Waschens bitte zurückgeben könne, weil sie nicht zu verwenden seien.

 

Noch am gleichen Tag erhielt ich eine nette Email, in der man mir die Rückzahlung des Geldbetrags versicherte und sich für die Unannehmlichkeiten entschuldige. Ich dürfte die BH’s aber gerne behalten. Das fand ich wirklich sehr freundlich und ich vermutete, dass sie schon häufiger diese Beschwerde erhalten hatten.  

 

Frau hält das aus

 

Nun war es aber Wochenende und ich hatte für den Abend eine Verabredung. Also quälte ich mich in den zweiten dieser BH’s aus dem Doppelpack und hoffte einfach, dass dieser BH vielleicht angenehmer zu tragen sei und ich es irgendwie aushalten würde. 

 

Der Abend zog dahin, es juckte und kratze, aber ich ertrug es wie eine Frau. 

 

Als ich schließlich nachts zuhause war, riss ich mir das Teil vom Leib und wunderte mich: An der rechten Seite, die besonders „kratzte“, hatte ich mindestens fünf bis sechs Mückenstiche und die Haut um die Stiche war deutlich gerötet. „Wie kommen die Mücken denn unter meinen BH?“, fragte ich mich in - in Anbetracht der Urzeit schon irgendwie verständlichen - geistigen Umnachtung. 

Und dann, DANN!, dämmerte es mir. Das sind keine Mückenstiche…  Ich schlug mir imaginär die Hand vor die Stirn: „Och ne, bitte nicht!“

 

Kratzen, Brennen und Müdigkeit

 

Das war eine Gürtelrose. Die „Stiche“ waren streng entlang eines sogenannten Dermatoms angeordnet. Ein Dermatom ist die Hautfläche, die durch einen Nerven versorgt wird. Und bei mir lag der Ausschlag in einem Bereich, der sehr typisch für einen Herpes zoster ist: Unterhalb der Brust, seitlich nach hinten oben verteilt. Es waren nicht viele Bläschen, aber sie juckten enorm. Der Mückenstich, den ich einige Tage vorher hatte - der wirklich ein Mückenstich und außerdem außerhalb des Dermatoms gelegen war - hatte mich zu der Annahme verleitet, dass ich offensichtlich zerstochen wurde. Das Kratzen auf der Haut, schon bevor ein Ausschlag zu sehen war, ist eine typische Überempdlichlichkeit der Haut, bevor ein Zoster sich auf den Weg an die Oberfläche macht. 

 

Mir wurde in dem Moment auch klar, warum ich in den Tagen zuvor unter starker Müdigkeit und Kopfschmerzen gelitten hatte. Ich selbst hatte es darauf geschoben, dass ich es beim Joggen übertrieben hatte und mein Körper Ruhe brauchte. 

 

Nun stand ich da mit meinem Ausschlag. Er war nicht sehr ausgeprägt, aber das Jucken und Brennen wurde am Folgetag deutlich intensiver. Ich wartete aber entgegen allen guten Wissens nochmals einen Tag ab, weil die Bläschen schon wieder kleiner wurden. Glücklicherweise arbeite ich vom heimischen Schreibtisch aus und musste nicht unter Menschen, so dass ich mit Ibuprofen und viel Ruhe und Schlafen nach Feierabend den Tag gut überstand. Müde war ich, das war auffällig. Eigentlich bin ich ein sehr aktiver Mensch, aber an dem Tag waren meine Kids dankenswerterweise noch im Urlaub und ich konnte die Couch für mich buchen. 

 

Antivirale Medikamente und Schmerzmittel 

 

Schließlich entschied ich mich am Folgetag doch, ein antirvirales Medikament einzunehmen, weil die Nacht ohne Schmerzmittel nicht angenehm war. Also besorgte ich mir das Rezept und am Nachmittag die Tabletten, aber noch bevor ich am Abend zu den Tabletten greifen konnte, waren die Schmerzen gänzlich verschwunden. Komplett. Weder Brennen noch Jucken noch Kratzen und die Bläschen waren deutlich kleiner. So schnell geht das in der Regel nicht.

 

Grundsätzlich ist das aber nicht die beste Idee, eine Gürtelrose nicht zu behandeln, denn sie kann chronifizieren und eine sogenannte Post-Zoster-Neuralgie entwickeln, die tägliche Schmerzen verursacht, auch wenn die Gürtelrose schon lange Geschichte ist. 

 

Erinnerungen aus der Kindheit

 

Hervorgerufen wird die Erkrankung durch eine Reaktivierung von Windpocken-Viren, die man sich in der Kindheit einfängt. Zu „meiner Zeit“ gab es die Impfung gegen das Varizella-zoster-Virus noch nicht und ich hatte - wie alle Kinder damals - ordentlich Pusteln, Papeln und Juckreiz from hell. I remeber me… (My english is wundervoll). 

 

Nun, etwa 40 Jahre später haben sich die Viren wieder gemeldet. Eigentlich heißt es, dass sie erst ab dem Alter von 50 Jahren durch ein geschwächtes Immunsystem ein leichteres Spiel haben. Aber auch in Stresszeiten kann die Gürtelrose strahlend erblühen. Ich hatte etwas Stress, ich habe mich nicht geschont beim Sport, ich neige zum Übertreiben, und das war die Warnung meines Körpers. 

 

Die Impfung gegen Zoster wird von den Krankenkassen ab einem Alter von 60 Jahren empfohlen, oder schon ab 50 Jahren bei einem erhöhten Risiko, eine Gürtelrose zu bekommen.

 

Ich kann die Impfung allen Risikopersonen nur empfehlen. Glücklicherweise war die Erkrankung bei mir nicht sonderlich stark ausgeprägt, aber als Ärztin habe ich viele Leidensgeschichten gesehen mit langwierigen Verläufen und hohem Schmerzmittelgebrauch gesehen. 

 

_____________________

Bild: Dimitris Vetsikas, Pixabay