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Die hoheitliche Visite

Seine medizinische Karriere fängt man als ganz, ganz, (ganz, ganz, ganz) kleines Licht an. Was auch gut und in Ordnung ist. Groß geboren ist keiner. 

 

Pflegepraktikum 

 

Du startest mit dem Pflegepraktikum vor dem Studium oder während des Grundstudiums. Das bedeutet: um 6:00 Uhr ist Arbeitsbeginn. Das Grauen. Katastrophe. Weltuntergang.

 

In meinen nun etwas weiter fortgeschritten Lebensjahren liebe ich die Morgenstunden und stehe manchmal auch am Wochenende vor 6:00 Uhr auf. Während meiner Studentenzeit wusste ich um die Uhrzeit nicht, wie die Augen offen halten soll. Aber irgendwie schaffst Du es also und schleppst Dich halb schlafend und mit tiefen Augenrändern auf die Dir zugewiesene Station.

 

Dann gehst Du durch die nach Morgenmief müffelnden Zimmer (weil frische Luft des Nächtens bei vielen Menschen  nicht gerne gerochen ist), um die Vitalzeichen wie Blutdruck, Puls und Temperatur zu erheben und die Betten zu machen. Anschließend Frühstück austeilen, Frühstück anreichen und Patienten waschen. 

Um 11:30 Uhr gibt es denn schon wieder Mittagessen, welches Du austeilen und anreichen musst. Um 14:00 Uhr ist Dienstende.

 

Wenn Du Glück hast, erhaschst Du während des Frühstückwaschenmessenmarathons einen Blick auf die Visite und schmachtest dieser verliebt nach. Wie gerne wärst Du dabei, würdest den Ärzten zuhören und endlich richtige Medizin machen. 

 

Wenn Du Glück hast, darfst Du während des Praktikums das ein oder andere Mal an der Visite teilnehmen. Wie ein kleines Mäuschen hängst Du Dich ganz an das Ende der Truppe, gibst keinen Mucks von Dir und achtest brav die Hierarchien: als Erstes läuft der Oberarzt, danach dann der Facharzt oder der Altassistent, dann die Assistenzärzte, PJ, Famulant, Praktikant.

 

„Das willst du auch!“, denkst Du verliebt, bevor Du Dich wieder der Waschschüssel zuwendest.

 

Famulatur 

 

So, Du hast es geschafft und hast Du das Grundstudium hinter dir. Herzlichen Glückwunsch. Wenn Du wüsstest… Noch kannst Du aussteigen?! Nein? Ok, dann weiter im Text. 

 

Jetzt kommen also die Famulaturen dran. Du freust Dich immens, denn endlich kannst Du Medizin machen. Du kommst an deinem ersten Tag auf Station, stellst dich vor und die Reaktion ist Folgende: „Achso... Famulatur. Heute? Hm... also ich hab jetzt gar keine Zeit. Aber Du kannst doch bestimmt Blut abnehmen?!“

 

Sagst Du an der Stelle jetzt nein, weil du es bisher nur an deinen Kommilitonen geübt hast, erntest du ein Augenrollen und sitzt den Rest des Tages im Arztzimmer. Also sagst Du wenigstens: „Ja, habe ich schon mal gemacht.“ Ist immerhin nicht ganz gelogen. 

Du kommst sowieso nicht drumherum, also tust Du es einfach. 

 

Auf chirurgischen Stationen kommt noch der Verbandswechsel dazu.

Kannst Du auch nicht, aber egal. „Ja, hab ich schon mal gemacht.“ Da Dir kein Arzt bei 20 Verbänden ausführlich erklären kann, wie es korrekt funktioniert, nimmst Du Dir also den Verbandswagen und rupfst den Verband runter, suchst das Pendant aus dem Wagen und pappst das Gleiche wieder drauf. In kaltem Wasser lernt man ganz schnell schwimmen. Ob es schön ist oder nicht, darüber kann man diskutieren. 

 

Du willst nun endlich auch an den Visiten teilnehmen und stolz VOR dem Pflegepraktikanten durch die Tür gehen. Geht klar, sofern Du Deine Blutentnahme und Verbandswechsel erledigt hast. Nicht? Tja, schade, das nächste Mal. Einfach schneller arbeiten. Gut, wenn Du Dir das früh angewöhnst, dann bist Du im Berufsleben nicht mehr so schockiert. 

 

PJ

 

Als PJ hast Du es fast geschafft. Ein langer Weg liegt bereits hinter Dir und bald bist Du Arzt/Ärztin. Je nachdem, in welchem Team du landest, darfst Du (nach Erledigung ALLER Blutennahmen, Braunülen, Verbandswechsel, Haken halten, Arztbriefe vorbereiten) unter Anleitung alleine Patienten betreuen und alleine Visite machen. Und Du fühlst Dich so dämlich dabei… Dir geht der Allerwerteste auf Grundeis, denn plötzlich hast Du die Verantwortung und musst kompetent wirken, Fragen beantworten und darfst nichts vergessen. Wieso sah das alles so einfach aus? Durch die Tür gehen, kompetent Akten halten und nicken kann ganz schön kompliziert sein.

 

Stationsarzt 

 

Nun bist Du also Arzt/Ärztin und alleine verantwortlich. Was hast Du Dir dabei gedacht? Als Stationsarzt bleibt die ganze Arbeit an Dir kleben und kein Famulant oder Praktikant hält dir die Tür auf. Du bist eigentlich ganz froh drum, denn Du hast keine Zeit, Dinge zu erklären. Also schickst du den Famulant zum Blut abnehmen und bist froh, wenn die Visite erledigt ist, denn Du musst entweder in den OP oder hast 13 Arztbriefe zu schreiben, Aufklärungen zu machen, Befunde zu sichten, Sonographien zu machen und Patienten aufzunehmen. Und bist froh, wenn Dir keiner bei der Visite am Kittelzipfel hängt. 

 

 

Welcher Visitentyp bist Du?

 

Die Visite an sich ist etwas Großes. Jedenfalls wenn Chef – oder Oberärzte kommen. Die Station bereitet sich darauf vor. Es werden die Akten bereitgestellt, aktuelle Befunde schnell noch eingeheftet, Kaffee für den Chef- und den Oberarzt bereitgestellt, der Visitenwagen geschoben. Es darf keine Zeitverzögerung geben, denn die Herren und Damen Chefärzte haben ja gut zu tun.

Die Patienten bereiten sich ebenfalls darauf vor und freuen sich, kommt doch jetzt wenigstens mal ein richtiger Arzt vorbei.

 

Und dann ist sie da. Die Visite.

Wenn man jetzt mal von der Chef- oder Oberarztvisite absieht, die normalerweise nach einen festgelegten Schema abläuft (Chef- und Oberarzt gehen ins Zimmer, fragen den Patienten nach seinem Wohlbefinden, Patient ist glücklich, Stationsarzt referiert die Befunde, Chefarzt nickt, Pflegepraktikant am Nebenbett verharrt in der Bewegung, da Chef spricht), gibt es diverse Visiten-Typen:

 

  1. Der Raser: Visite in 2 min pro Patient? Kein Problem. Am besten morgens um sieben Uhr, da sind die meisten Patienten noch verschlafen. Kurz ins Zimmer gestürmt, Patient lebt, alles gut? Primaaa. Wiedersehen. Patient irritiert. Befunde liegen durcheinander herum, Schwester sauer. 
  2. Der Penible: Visite dauert, so lange wie sie eben dauert. Drei Stunden sind auch mal drin. Der Visitenwagen wird gemächlich von Zimmer zu Zimmer gerollt und vor jedem Zimmer minutenlang die Akte studiert. Bis die letzte Anordnung getroffen ist, haben die Pflegekräfte Schichtwechsel und der Stationsalltag wird aufgehalten. 
  3. Der Wichtigtuer: Frisch von der Uni meint er, jetzt genau so eine Visite abhalten zu müssen, wie der Chef es getan hat. Wo ist mein Visitenwagen? Warum sind die Befunde nicht abgeheftet? Ich Arzt, du Schwester. Die Flausen werden demjenigen ganz schnell ausgetrieben.
  4. Der Bettsitzer: ausgestattet mit einer gehörigen Portion Empathie meint er, die Welt retten zu müssen. Dann setzt er sich auch schon mal händchenhaltend an die Bettkante. Das mag zwar nett gemeint sein, ist allerdings aus hygienischen und auch aus zeitlichen Gründen keine gute Idee.

 

Aus eigener Erfahrung und aus dem, was ich beobachtet habe, kann ich als Tipps für junge Docs Folgendes weitergeben:

     

Bereitet Eure Visite in Ruhe (im Arztzimmer) vor: Akten durchgehen, neue Befunde sichten, die Daten kennen. Das spart Zeit. Wichtige Anordnungen bereits durchgeben. Dann zwar in Ruhe durch die Zimmer gehen, aber ohne Bettkantengehocke und Händchenhalten. Und wenn man dann auch noch nett und ehrlich respektvoll zu dem Pflegepersonal ist, bekommt man auch den Kaffee serviert.

 

Bild: Pixabay, ZahidJavali

 

 

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