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Einschüchterung als Teil des kranken Systems

 

Die Kommentare zu einem "Spiegel Online"-Artikel (https://www.spiegel.de/karriere/aerzte-berichten-meine-arbeit-macht-einsam-a-1262182.html) brachte es zu Tage: Viele Menschen haben keine Vorstellung davon, wie Ärzte in unserem aktuellen Gesundheitssystem verheizt werden. Da wird darüber geredet, wieviel Geld Ärzte verdienen und dass man es doch schließlich vorher wusste. Als man Arzt werden wollte. Und überhaupt, das ganze Gemotze wäre ja albern, denn es gibt ja schließlich Arbeitszeitgesetze und Überstundenregelung. 

 

Ich räuspere mich mal kurz: haha. 

 

Ja, mag sein, dass es diese gibt. Aber sie werden nicht eingehalten. Dass Tausende Mediziner aktuell wieder streiken, liegt nicht an zunehmender Langeweile im Beruf.

 

Als Gründungsmitglied des Twankenhaus’ habe ich beinahe täglich intensiven Diskurs und Austausch mit den anderen Mitgliedern. 

So konnte ich mit dem Einverständnis der anderen Mitglieder einige Aussagen sammeln. Diese sind hier anonym veröffentlicht, aber selbstverständlich kenne ich die Personen hinter den Aussagen persönlich oder mit Klarnamen.

 

 

Es geht nicht um's Geld

 

Ärzte sind geldgeil? Ärzten geht es nur darum, dass sie zu wenig verdienen?

 

Dazu ein paar Aussagen, die ich unkommentiert hier stehen lasse. Ein Bild der Situation kann sich jeder selbst machen. 

 

Ich bin gerne bereit, weniger zu verdienen. Wenn ich endlich mal rechtskonform arbeiten würde.

Unser aktuelles Dienstmodell ist tarifrechtswidrig, AzG-widrig und EU-rechtswidrig.“ (@saftmoppel)

 

Also mir persönlich geht’s auch null darum, ob ich jetzt 200€ mehr verdiene, sondern dass endlich mal die Arbeitsbedingungen humanisiert werden." (@caethan13)

 

(…) Ich verdeutlichte dann auch was es bedeutet, wie ein Arzt zu arbeiten. Weil: ja - Geld ist da. Aber wer arbeitet freiwillig die 60 Stunden, bekommt für Nacht- und Feiertage weniger, etc. pp? Die Leute die sich so über die „scheiß Ärzte“ aufregen? Ne, nie und nimmer. Bisher kam dann zum Glück immer ein kleinlautes ‚Das wusste ich nicht‘ und ‚Oh, das ist ja ganz schön scheisse.‘“ (@Centilith)

 

Der Ottonormalbürger sieht die Summe am Monatsende. Wenn ich Leuten meinen Stundenlohn nennen, lachen sie. Und dann wird ihnen klar, dass die Gesamtsumme durch horrende Stundenanzahl kommt.“ (@Saftmoppel)

 

Bei uns wurden die Überstunden durch den Oberarzt gelöscht! Vor 2 Jahren war das. Jetzt ist es besser!“ (@jgYrgitte)

 

„(…) Aber so zu tun, als würden wir Bereitschaftsdienste machen, aber praktisch so wie am Tag weiterarbeiten für weniger Geld und unabhängig von Höchtsarbeitszeiten kann’s ja auch nicht sein.“ (@nplhse)

 

Zum Heulen wird einem zumute, wenn man liest, was eine Notfallsanitäterin verdient: 

 

Zum Thema Stundenlohn: wenn ich meinen echten Stundenlohn - also Arbeitszeit plus Bereitschaftszeit - als frischer Notfallsanitäter berechne, komme ich auf 13,90€ brutto im TVÖD. Dazu kommen ggf. 105€ Wechselschichtzulage. Bei uns gibts keine Gefahren- oder Erschwerniszulage. Gerade die Zuschläge, die viel Geld bringen, sind frei von Sozialabgaben und damit irrelevant für die Rente." (@rosarote_viggo)

 

 

Fortbildung als Freizeitvergnügen

 

Während wir darüber diskutieren, schickt ein Kollege ein Foto von einem Kongress, auf dem er sich gerade befindet. Weiterbildung gibt es in unserem Beruf hauptsächlich am Wochenende. Dieser Kollege hat Familie und Kinder zu Hause, die er nun also dank der Fortbildung mal wieder nicht sieht.

 

Aber das ist normaler Standard, wie die folgenden Aussagen verdeutlichen:

 

Meine beste Freundin ist Innenarchitektin und wenn ich sehe, wie viele Kurse/Schulungen vom Arbeitgeber finanziert sie in ihrer Arbeitszeit macht, frage ich mich, warum das im Gesundheitswesen anders ist, bzw. nicht geht...." (@SusiLuise)

 

"Wenn ich erzähle, dass ich meinen Notarztkurs selbst bezahlen und noch zwei Tage Urlaub nehmen musste, obwohl es bei uns zur Dienstaufgabe gehört, glaubt mir das immer keiner. (…) Von An-und Abfahrten zu Prüfungen etc. will ich gar nicht anfangen. Die Facharztprüfung war auch Freizeitausgleich.“  (@Caethan13)

 

Auf die Frage einer Kollegin, warum man nicht versucht habe, die Überstunden für den Notarztkurs einzufordern: „Ein paar Dutzend Kollegen haben es probiert. Erfolglos. Für die Notarztprüfung hab ich Sonderurlaub bekommen. Aber nur, weil die übliche Sachbearbeiterin im Urlaub war.“ 

 

Eine andere Kollegin schreibt: "Bei uns sind sogar die regulären Fortbildungen in der Abteilung außerhalb der Arbeitszeit." (@jgYgritte)

 

Bei uns gibt laut Tarifvertrag drei Fortbildungstage pro Jahr, die bei den meisten Kollegen aber verfallen. Zum Notarztkurs konnte ich die anrechnen lassen, daher musste ich nur zwei Tage Urlaub nehmen. Früher wurden die Leute auch mal für’s NEF (Anm: Notarzteinsatzfahrzeug) freigestellt. Jetzt ist das alles Privatvergnügen (...). Führt natürlich dazu, dass die Hälfte der Assistenten keinen Notarztschein mehr hat. (@Caethan13)

 

Und wieder eine andere Kollegin berichtet: „In unserem Einzugsgebiet hat man das Problem anderweitig gelöst und sämtliche Prüfungen auf den heiligen Samstag gelegt.

Also bin ich nach einer Intensiv-12-h-ohne-Einberechnung-der-illegalen-Überstunden-Woche freitags abends um 22 Uhr aus der Klinik gekippt, um dann um 8 Uhr am nächsten morgen bei der Ärztekammer für die Facharztprüfung auf der Matte zu stehen. (@19insomnia82)

 

 

Lösung noch nicht in Sicht

 

Wie mir scheint, sind die Missstände in der Allgemeinheit noch nicht wirklich bekannt. Und die Beteiligten wehren sich zu wenig. Woran das liegt, kann man nur mutmaßen: 

  1. Das Helfersyndrom wurde vielen Gesundheitsdienstlern in die Wiege gelegt. Die Patienten stehen an erster Stelle. Immer. 
  2. Das Selbstverständnis, als Arzt hart arbeiten und sich knechten zu müssen, wird antrainiert. Das beginnt in der Schule, setzt sich über das Studium fort und macht nicht Halt, wenn man es endlich in den Beruf geschafft hat. 
  3. Die Liebe zu Beruf bringt uns dazu, auch unter ungünstigsten Umständen zu arbeiten. 
  4. Einschüchterung durch die Vorgesetzten ist an der Tagesordnung. Kollegen haben Sorge um ihren Arbeitsplatz. 

 

Man muss auf die Missstände immer und immer wieder aufmerksam machen. Wie die Kollegin schreibt: „Wir hauen gerade richtig auf den Putz und machen Stunk. Überstunden werden jetzt bezahlt und jeden Monat werden sie von uns eingefordert.“ (@Saftmoppel)

     

Das sollten wir tun. Lasst uns auf den Putz hauen. 

 

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Bild: Pixybay.