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Krank zur Arbeit - "Ich kann doch nicht fehlen!"

Nächste Woche ist es soweit: Landarztpraxis, I‘ll be back.

Nach 1,5 Jahren nachgeschobener Elternzeit und kreativer Schöpfungsphase kehre ich zurück zu meinen Patienten. Inzwischen hat es sich wohl auch herumgesprochen und ich bekam bereits einige Nachrichten und E-Mails von ehemaligen Patient*innen, die sich auf mich freuen, und der ländliche Buschfunk trommelt Ähnliches. Ich freue mich darüber sehr, und auch auf meine Rückkehr.

 

Corona oder nicht Corona, das ist hier die Frage

 

Aber natürlich frage ich mich, wie das Arbeiten in Coronazeiten in der Praxis sein wird. 

Jetzt, da die Erkältungszeit kommt, die Grippewelle zusätzlich in den Startlöchern steht und Corona wie ein Damoklesschwert über uns schwebt, wird das nicht so leicht werden.

 

Da wäre zum Beispiel die Frage: Wie soll man eine normale Erkältung, die in der Regel von Rhinoviren ausgelöst wird, von einem leichten Verlauf einer Corona-Erkrankung abgrenzen? Bei den typischen Symptomen einer Covid-19-Erkrankung mit Fieber, Husten und Geruchs- und Geschmacksverlust ohne verstopfte Nase schrillen natürlich alle Alarmglocken. Aber gerade ohne die Geruchs- und Geschmacksstörungen wird es tricky. Vor allem, da wir uns bei der momentanen flächigen Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV2 nicht darauf verlassen können, dass man sich nur in Risikogebieten angesteckt haben könnte. 

 

Sind das hohe Fieber und der Husten nicht vielleicht eine Influenza, die sich gerne eben so präsentiert, und die gerade für ihre Saison in Startposition geht? 

 

In Sachen Influenza vs. Corona ist die Konsequenz gar nicht so schwierig: Wer Fieber und Husten hat, muss getestet werden. Es gibt für beide Erkrankungen keine Hausmittelchen, die ich als Ärztin verschreiben könnte, also gilt für beide: zu Hause (und anderen fern) bleiben, auskurieren und hoffen, dass es nicht schlimmer wird. So simpel, so unangenehm. Und ich hoffe, dass viele Menschen sich gegen die Influenza impfen lassen werden. 

 

Anders ist das bei einer banalen Erkältung. Sollen wir jetzt alle zu Hause bleiben und nicht zur Arbeit gehen, wenn wir etwas Schnupfen und ein Kratzen im Hals haben? 

Noch bis Anfang des Jahres galt schließlich die Prämisse: wer sich krank zur Arbeit schleppt, wird zum "Mitarbeiter des Monats" ernannt und bekommt am Jahresende einen 10€-Einkaufsgutschein für den Drogeriemarkt um die Ecke und ein Sträußlein Blumen. Im Bereich der Pflege wird ja gerne Lavendel eingesetzt, manchmal regnet es sogar Merci-Schokolade. Da wissen die honorierten Pflegekräfte gar nicht mehr, wohin mit sich vor lauter Freude. Das Arbeiten über die eigenen Belastungsgrenzen hat sich also wahrlich gelohnt. Nicht. 

 

"Ich kann doch nicht fehlen!"

 

Wie oft habe ich schon den Satz gehört: „Frau Doktor, ich kann auf der Arbeit nicht fehlen!“, wenn ich mit Engelszungen darauf hingewiesen habe, die Viren mit dem ausgeprägtem Husten und dem Fieber bitte nicht im Büro zu verteilen.

„Wir sind aber nur zu zweit im Geschäft“, war oft die Antwort. Wahlweise auch: „Ich hab aber Angst, dass mein Chef/die Chefin mich rausschmeißt.“

Dieses Jahr fragt man sich natürlich umso mehr, ob nun gerade SARS-CoV2 verteilt wird.

 

Die Schulen hier in Hessen regeln es folgendermaßen: mit einem leichten Fließschnupfen respektive leichtem Halskratzen muss man dem Unterricht nicht fernbleiben. Wer Fieber, starken Husten oder Störungen von Geruch und Geschmack hat, muss sich krankmelden und testen lassen. Erst nach 24 Stunden Fieberfreiheit darf das Kind wieder zur Schule gehen. Ähnlich wird man es also auch für den Job regeln müssen. 

 

Dabei ist es generell keine gute Idee, krank zur Arbeit zu gehen. Eine Erkrankung mit COVID-19 scheint auch bei leichten Verläufen zuweilen deutliche Folgeerscheinungen zu hinterlassen: Lungenfibrosen, Herzmuskelschäden, Nierenprobleme. Es gibt auch Fallberichte von Konzentrationsstörungen oder Depressionen. Was genau dahinter steckt, muss noch weiter erforscht werden.

 

Wenn das Herz ausleiert... 

 

Aber selbst harmlose Erkältungen und die Influenza sowieso können einem das Leben ganz schön vermurksen.

Da war beispielsweise dieser eine Patient in der Notaufnahme: er war erst 42 Jahre alt, aber schwerstkrank. Schlapp und luftnötig kam er zu uns, er hatte Wasser in den Beinen eingelagert und klagte über Herzstolpern. Seine Symptome deuteten bereits auf ein Herzproblem hin, und in der Untersuchung bestätigte sich der Verdacht: sein Herz sah im Ultraschall aus wie ein ausgeleierter Luftballon, und pumpte schlapp vor sich hin. Seine Ejektionsfraktion, also die Auswurfleistung seines Herzens ("wieviel Blut pumpt das Herz"), betrug nur noch 25%. Eine Katastrophe in seinem Alter.

 

Die normale Auswurfleistung des Herzens liegt bei über 60 %. Denn natürlich kann ein Herz nicht 100 % seines Blutvolumens auswerfen, dann wäre es ja leer und die Herzwände würden aneinanderklatschen. 

Aber seine stark reduzierte Ejektionsfraktion hieß: der Mann hatte eine schwere Herzinsuffizienz, und er benötigte einen Defibrillator, um gefährliche Herzrhythmusstörungen zu verhindern.  Zugezogen hatte er sich den Herzschaden durch das Verschleppen eines Infektes. „Ich war ein paar Tage mit hohem Fieber bei der Arbeit. Ibu rein und den Tag irgendwie durchstehen. Ein wichtiges Projekt, ich wollte nicht fehlen", erzählte er. 

 

Manchmal kann man mit speziellen Medikamentenkombinationen dafür sorgen, dass der Herzmuskel sich ein wenig erholt. Aber manchmal steht der Name schließlich auch auf der Transplantationsliste.

 

Von Solchen und Solchen

 

Während meiner ärztlichen Tätigkeit habe ich immer wieder festgestellt, dass es zwei Extreme von kranken Arbeitnehmern gibt: Da sind die einen, die sich einen Pickel aufkratzen und mit dem Wunsch auf eine Krankmeldung in die Praxis kommen. Zur Sicherheit. Wegen Blutvergiftung.

 

Und dann gibt es diejenigen, die ich als Ärztin eigentlich medikamentös ins Koma legen müsste, damit sie mit Fieber und ihren vereiterten Nebenhöhlen des Todes nicht arbeiten gehen. 

 

Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der zu mir in die Sprechstunde kam. Er war groß, mit der Statur einer Nordmanntanne, sah fröhlich und gesund aus und eroberte vor Kraft strotzend mein Zimmer. Um auf dem Stuhl wie ein sterbender Schwan in sich zusammenzusinken. Die ganze Nacht gekotzt habe er, puh. Und Durchfall. Ganz schlimm dieser Durchfall. Er müsste jetzt schon mal die ganze Woche zu Hause bleiben, um sich davon zu erholen.

 

Ich untersuchte ihn, stellte keine besorgniserregenden Befunde fest und schrieb ihn schließlich einen Tag krank, weil ich natürlich nicht kontrollieren konnte, ob er in der letzten Nacht tatsächlich mehrfach die Toilettenschüssel umarmt hatte. Ich weiß, Doktor House hätte den Haustürschlüssel besorgt und wäre zwecks Fallaufklärung nachts heimlich in die Wohnung eingestiegen. Aber das wäre mir nun doch zu weit gegangen.

Ich wies den Patienten an, am nächsten Tag wieder zu kommen, falls es ihm nicht besser gehe. 

 

Es gibt ja immer „Solsche und Solsche“, wie man hierzulande im hessischen Land so schön sagt.

Jetzt in Corona Zeiten werden wir einfach mehr aufpassen müssen: dass Patienten mit "solchen Beschwerden" nicht unter die Menschheit gehen. Und Patienten mit "solchen Beschwerden" arbeiten dürfen.

 

Eigentlich ganz einfach. 

 

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Bild: Pixabay, Sambeetarts