· 

Impfen, bis die Nadel glüht - Ein Hoch auf "meine Mädels"

Oh Gott. Ich habe es gesagt, das böse Wort mit "M". Mädels. Meine Mädels. 

 

Natürlich sind es keine Mädels, und erst recht nicht meine. Denn ich bin eigentlich keine Chefin und eigentlich bin ich auch ein Mädel. Ein nicht mehr ganz frisches Modell, aber was soll's. Und genau darum darf ich das auch so schreiben und ich meine es ganz warmherzig und voller Dankbarkeit. Denn ohne sie würden die Großkampftage in der Praxis nicht funktionieren. 

 

Endlich Wochenende - Ach ne, Impfzentrum

 

Freitagnachmittag, es ist 17:00 Uhr. Nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Rhabarberkuchen liege ich auf meiner Couch und habe das Gefühl, mich nicht mehr bewegen zu können.

 

„Es ist doch erst 17:00 Uhr“, mag jetzt der eine oder andere sich empören. Ja, natürlich gibt es Jobs, in denen man an den Wochenenden länger arbeitet als ich. In Krankenhäusern sind die Schichten nicht am Nachmittag vorbei und am Wochenende machen die Krankheiten keine Pause.

 

Ich möchte ja auch gar nicht jammern, denn ich habe in diesen Zeiten eine Luxusposition inne: Ich habe einen krisensicheren Job als Ärztin, ich arbeite in der Praxis und im Impfzentrum, ich schreibe über das Ganze und mir wird Gehör geschenkt. Meinen Kindern geht es gut, trotz Homeschooling und Kontaktbeschränkung, weil ich mir meine Zeit mit meinen drei Jobs einigermaßen einteilen kann. Außerdem bin ich geimpft. 

 

Sicher dank Impfung 

 

Ich bin mir sehr sicher, dass diese Impfung mich schon das eine oder andere Mal vor der Infektion und vor Covid-19 bewahrt hat. Denn so sehr man auch versucht, die kranken Patienten aus dem allgemeinen Praxisbetrieb rauszuhalten, es passiert doch hin und wieder, dass jemand durchrutscht. Entweder, weil die Symptome der Erkrankung sehr unspezifisch und gering sind. Oder weil uns auch bewusst Symptome vorenthalten werden, die dann im Sprechzimmer erst zur Sprache kommen. Und zu guter letzt passiert es auch, dass es Menschen durch die Infektion sehr schlecht geht, sie dann mit einer akuten Corona-Erkrankung daniederliegen und ich sie in die Klinik einweisen muss. Corona ist ein Miststück.

 

Neulich tarnte sich eine Coronainfektion als Herzinfarkt. 

Ein anderes Mal kam sie als vermeintlicher Bandscheibenvorfall daher.

„Gehen Sie mal zum Hausarzt“, sprach ein Kollege in der Notaufnahme, weil er fand, dass Rückenschmerzen nicht in seine Hände gehören. So weit, so nachvollziebar. Doch hätte er mal genauer nachgefragt, so hätte er erfahren, dass die Rückenschmerzen eigentlich Gliederschmerzen waren und zudem seit fünf Tagen Fieber bestand. Nun ja, immerhin der Antigen-Schnelltest wurde gemacht und fiel negativ aus, weshalb man sich dort in Sicherheit wähnte. Zack, folgten die Entlassung der erkrankten Person und der Arztbrief an uns mit der Diagnose Rückenschmerzen. 

Und dann stand ich nun, nur mit FFP2 Maske bekleidet (und natürlich mit normaler Alltags – Praxiskleidung, aber ohne persönliche Schutzausrüstung) im Zimmer, weil ich ein Schmerzproblem im Arztbrief las. Ich bildete mir sich sogar ein, den wabernden, virenbeladenen Dunst vor meinen Augen zu sehen, als ich bei der Anamnese erfuhr, wie schlecht es der Person ging. Die PCR bestätigte tags drauf meinen Verdacht: Covid. Nix Rücken.

 

Sprechstunde in Zeiten der Impfung

 

Ich bin zutiefst dankbar für meine Impfung. Nein, ich werde für die Aussage nicht bezahlt, ich bekomme keine sonstigen Vorteile und ich betreibe keine Propaganda, das möchte ich vorwegnehmen, werte Querdenker. Meine Erfahrung bringt mich zu dieser Überzeugung, und daher arbeite ich parallel in den Impfzentren mit. Denn ich bin nun mal überzeugt davon, dass dies der Weg aus der Pandemie ist. 

 

Dafür rede ich jeden Tag in der Sprechstunde über das Impfen. Beantworte Fragen, die ich schon hunderte Male beantwortet habe, nehme Sorgen, die durch die mediale Schlammschlacht ausgelöst wurden. Aus diesem Grund sitzen wir alle in der Praxis zweimal ins der Woche an den Nachmittagen, die eigentlich für andere administrative Tätigkeiten gedacht waren, oder auch fürs „Frei“, an den Computern, im Labor, am Schreibtisch und im Sprechzimmer.

 

Der Aufwand, den Hausarztpraxen betreiben müssen ist immens. 

 

Es werden Impflisten geführt, die nach Priorität geordnet sind. Die Medizinischen Fachangestellten (MFA) bestellen Patient*innen ein, koordinieren die Termine, sortieren nach Priorität, bereiten das Vakzine vor, bestellen neues nach. Die zu impfenden Personen müssen die Aufklärungsbögen abholen und zum Teil neue Impfausweise erhalten. In der Praxis angekommen, werden sie einem ärztlichen Wesen zugeteilt. Wir gehen gemeinsam noch mal durch den Aufklärungsbogen, klären über mögliche Impfreaktionen auf und beantworten Fragen. Wir verabreichen die Impfung, füllen den Ausweis aus, stempeln. Danach werden die „Impflinge“ für fünfzehn bis dreißig Minuten nachbeobachtet.

 

Die Patient*innen bekommen ihre neuen Termine zugeteilt, damit die zweite Impfung den genau definierten Abstand einhält und wir dokumentieren das Ganze in unserem System. Die MFA’s machen die Abrechnungen und die Meldung an die Kassenärztliche Vereinigung (KV).

 

Der bürokratische Aufwand ist wie gesagt enorm. Wenn man das mit einer Influenza – Impfung (oder irgendeiner anderen Impfung) vergleicht, die häufig zwischen Tür und Angel geschieht, mit einer kurzen persönlichen Aufklärung nebenbei, so ist das eine Prozedur, die man nicht auf Dauer so aushalten kann.

 

Ich verfolge in den sozialen Medien mehrere Praxen und Praxisinhaber*innen, wir tauschen uns aus, man liest sich gegenseitig. Alle Praxen machen die Impfungen mit ihren Team mit der höchstmöglichen Motivation, einem bewundernswerten Engagement und Überstunden noch und nöcher. Aber es zerrt, und wie lange das auszuhalten ist, kann ich nicht einschätzen.

 

Es ist ja auch so, dass sich nicht nur in den Impfsprechstunden alles um das Vakzin dreht. Es gibt tägliche Anfragen zu Vorerkrankungen, zu gewünschten Attesten, zu Gründen, warum man einen bestimmten Impfstoff nicht kriegen darf (vom  Hühnerauge seit 1994 bis hin zu gerechtfertigten Kontraindikationen ist alles dabei). Massenhafte Anrufe am Tag, dass jemand auf die Liste gesetzt werden möchte, dass es ja eigentlich viel schneller gehen müsste und dass der Wunschtermin am Freitag um 14:00 Uhr nicht wahrgenommen werden kann, weil man in den Urlaub fliegen will...  Es dreht sich fast nur noch um das Impfen. 

 

Und dennoch ist es genau richtig, dass wir das tun. Und wir erfahren dafür sehr viel Dankbarkeit von vielen Patient*innen.

 

Aber noch viel besser wäre es, wenn diese furchtbare, überbordende Bürokratie ein Ende hätte. Wenn wir impfen könnten, ohne dafür die Telefonleitungen heiß glühen lassen zu müssen, ohne massenhaft Bäume für gedruckte Aufklärungsunterlagen in Papierform abzuholzen, und ohne dass die fleißigen Mitarbeiter*innen Fransen auf den Zähnen vom vielen Sprechen bekämen.

 

Nein, damit kritisiere ich nicht die Patienten, die berechtigterweise Fragen zu den Impfstoffen haben. Oder gerne schnell geimpft werden wollen, weil ihnen die Erkrankung Sorgen bereitet.

 

Die Politik hat es vergeigt

 

Ich kritisiere aber, dass die Politik leider echt einiges vergeigt hat. Wir hätten den strikten Lockdown vor Monaten schon gebraucht. Hit hard. Dafür kürzer als das, was wir jetzt tun. Wir hätten seit Jahresbeginn als Niedergelassene mitimpfen müssen.

 

Aber es bringt nun auch nichts mehr, im Nachhinein nur zu klagen, was alles anders hätte gemacht werden können, das ist mir klar. Hätte, hätte, Fahrradkette. Ihr kennt das.

 

Und es ist gut, dass wir Praxen endlich impfen, denn seitdem sind die Zahlen massiv angestiegen: gestern haben wir in Deutschland, also in den Impfzentren und in Arztpraxen gemeinsam, etwa 1,1 Millionen Dosen Corona – Impfstoff verabreicht. Da geht mir das Herz auf. 

 

In meiner Naivität stelle ich mir aber vor, dass es leichter wird. Dass die Bürokratie zurückgeschraubt wird, und wir uns in diesem Prozess darauf beschränken können, was wir können: ärztlich beraten, aufklären, impfen.

 

Den ganzen Bürokratiekram soll irgendeine App machen. Es gibt doch für alles eine App? Aufklärung per App. Impfpass per App. Übermittlung an die KV mittels App. Oder via QR-Code? Es gibt doch auch für alles einen QR-Code. Meinetwegen auch via Rauchzeichen-App, was auch immer. Man mag mir nachsehen, dass ich keine Ahnung von Programmierung, Apps und Informationstechnologie habe. Aber das ist auch nicht mein Job.

 

Mein Job ist, an dieser Stelle weiterzumachen, so gut ich kann, den Kolleginnen und Kollegen bundesweit ein mediales High Five zu geben und den fleißigen Praxis-Mitarbeiter*innen, insbesondere „meinen Mädels" zu sagen: Ihr seid großartig,  zauberhaft, fleißig, und ohne euch wäre das nicht zu schaffen.

 

Danke! 

 

_____________

Bild: Pixabay, Rollstein