Zack! Die Tsyche sagt Hallo.

 

Ist Euch mal aufgefallen, dass viele Menschen das Wort „Psyche“ oder „psychisch“ nicht aussprechen können? Sie sagen "Tsyche" und "tsychisch".

Und Probleme mit der Tsyche haben ganz schön viele Patienten in der Allgemeinmedizin.

Als ich anfing, als Hausärztin zu arbeiten, wollte ich nicht glauben, dass etwa zwei Drittel aller Patientenbesuche psychosomatischen Hintergrund haben. Aber nach ganz kurzer Zeit konnte ich die Aussage bestätigen.

 

Es geht nicht unbedingt um schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Zwänge. Das kommt auch nicht selten vor, auch wenn die wenigsten Menschen mit ihrem Umfeld darüber sprechen. Zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung.

Viel verbreiteter sind unerklärliche Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Schlafstörungen, die durch Stress, Anspannung oder Probleme im häuslichen im privaten Umfeld entstehen. Denn irgendwann sagt die Tsyche: "Hallo. Da bin ich. Wollte mich nur mal vorstellen..."

 

 

Das Herz aus dem Takt

 

Da war dieser junge Mann, der irgendwann mal muskelbepackt und mitten im Leben stehend in die Sprechstunde kam. Er habe immer wieder Herzrhythmusstörungen. Gerade eben ganz schlimm. Kardiologisch  war er vor Kurzem bereits untersucht worden, konnte ich herausfinden. Das EKG, das wir anfertigten, ist unauffällig. Seine Beschreibungen klingen wie eine Panikattacke: Herzklopfen, Zittern, Kribbeln in den Händen.  

 

Also frage ich vorsichtig nach: Stress? 

Nö, eigentlich nicht. Alles gut zuhause mit den Kindern und dem Job. Der Hausbau sei so ein bisschen belastend, aber da er ja Nachtschicht arbeite, hätte er eigentlich genug Zeit.

...

Joa. Is klar. Alles easy. 

Nachtschicht, Kinder, Hausbau? Vielleicht ist das doch ein bisschen zu viel des Guten.

 

Ich frage ihn, was er beruflich macht und wir unterhalten uns über seine Nachtschichten. Eigentlich sei ja alles gar nicht so schlimm. Ja gut, manchmal sei er müde. Und sein Training schlauche ihn. Aber als Sportler könne er sich keine Trainingsausfälle leisten.

 

Zack. Ein weiterer Punkt auf der Liste: Nachtschicht, Kinder, Hausbau, Leistungsdruck als Sportler. Da kann jeder normale Mensch Probleme mit der Tsyche bekommen.

 

Die Sprechstunde ist gleich zu Ende und ich kann mir ein bisschen Zeit nehmen. Ich kläre ihn über die Harmlosigkeit seines Herzstolperns auf, wir reden über Panikattacken und  seine multiplen Belastungen. 

Am Ende geht ein sichtlich beruhigter junger Mann nach Hause, zurück in sein überfülltes Leben. Seine Rhythmusstörungen werden durch unser Gespräch nicht verschwinden. Aber vielleicht hilft es ihm, sie nun besser einzuordnen. 

 

 

Sprechende Medizin - so wichtig!

 

Schade, dass sprechende Medizin in unserem aktuellen Gesundheitssystem nicht wertgeschätzt wird.

Schade, dass man viel zu wenig Zeit hat, mehr zu reden und sich um seine Patienten zu kümmern.

Schade, dass Patienten zum Heilpraktiker gehen, weil er sich Zeit nimmt (und sich für 80€ in der Stunde sein offenes Ohr vergolden lässt).

 

Ich will keine 80€ von dem jungen Mann haben. Ich will, dass er beruhigt nach Hause geht und ich nach dem Gespräch nicht verzweifelt auf meine Wartezimmerliste schauen muss, weil ich 10 Minuten zu lange geredet habe.

 

Und ich wünsche mir, dass die Bedeutung der Tsyche ernst genommen wird. Dann würde man dem Patienten und dem System viel apparative Medizin ersparen. 

 

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(Wie immer: Alle Geschlechter sind angesprochen, auch wenn ich in der maskulinen Form schreibe.)

(Bild: Geralt, Pixabay)